Gabriele Petricek

Literatur
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Wege und Wagnisse

Mit Gabriele Petricek wird eine Autorin ausgezeichnet, die es auf bemerkenswerte Weise schafft, das Thema der Bewegung ebenenübergreifend in ihrem Werk zu verhandeln und (trotzdem?) eine Verankerung in der österreichischen Gegenwartsliteratur wie auch ihre niederösterreichische Herkunft – „Hab’ das Waldviertel in mir“, heißt es in einer Erzählung – präsent zu halten.

Diese aktuelle, aus meiner Sicht im besten Sinne (über-)fällige, Würdigung reiht sich in eine lange Liste von Preisen und Stipendien ein, die die Bedeutung und die öffentliche Sichtbarmachung ihres literarischen Schaffens, eines vielschichtigen, die Wirklichkeit befragenden Textarbeitens, noch zusätzlich unterstreicht: „Nein, nein, um es kurz zu machen: was ich berichte, gilt. Wie auch immer es gewesen sein mag. Was fehlt, erfinde ich.“

Warum diese dringende Empfehlung, gerade eben jetzt, gewiss in Verbindung mit diesem Preis, aber nicht nur deswegen? Ich verstehe Petriceks Wirken und Werk so, dass es Fragen der Begrenzungen, aber auch des Unterwegsseins und Momente der Bezugnahmen aufgreift. Ihre Literatur ist eine Literatur der Relationen, der Verhältnisse und des zweiten, genaueren Blicks – mithin ein Leseangebot, das es in unserer an Zumutungen nicht armen Gegenwart ganz besonders braucht.

Petriceks feinfühlige, stets kritische, aber nicht witzlose Genauigkeit, die die eigene Position nicht ausspart, ist eine der besonderen Qualitäten ihrer Texte: Das zeigt sich schon in ihren journalistischen Arbeiten, der reflektierenden Beschäftigung mit Bildender Kunst, Architektur oder auch Mode, dem Sichtbarmachen in kuratorischen Kontexten und einer quellendichten, referenzfreudigen Prosa, in der fundierte Denkeinladungen und eine geradezu quecksilbrige, spielerische Sprachverwendung in Balance gebracht werden. Medienübergreifend – ob in Zeitschriftenveröffentlichungen, Rundfunkbeiträgen, Filmen oder eigenständigen Publikationen – zeigt sich eine Beweglichkeit und Sensibilität für die gewählten Ausdrucksformen und medialen Formate, ein Bewusstsein für zu befragende Konventionen und Möglichkeiten sprachlicher Neuerungen.

Nicht selten stehen diese Erweiterungen im Zeichen eines Miteinander, im Dialog mit Dritten, in einer Auseinandersetzung mit Angeboten der Übertragung – womit ein weiterer wichtiger Aspekt von Gabriele Petriceks literarischer Arbeit angesprochen ist: Neben dem auch auf internationaler Ebene nachhaltig wirksamen Entwickeln und Etablieren von Lesereihen und Diskursformaten, den zahlreichen Auslandsaufenthalten und Vernetzungsaktivitäten, findet sich hier die Hinwendung zu Translation und Grenzverschiebung.

Dieses höchst produktive Unterwegssein verstehe ich nicht nur als gelebte Verbindung mit dem literarischen Betrieb oder als investierte Auseinandersetzung mit den zu schnell für selbstverständlich genommenen Kategorien des „Eigenen“ und des „Fremden“; vielmehr sehe ich hier auch Stoff und Impuls für eine Hinwendung zu den vielfältigen Formen des Bewegt-Seins auf der inhaltlichen Ebene ihrer Prosa.

In Veröffentlichungen wie dem Sprach-Triptychon „Von den Himmeln“ (2009), dem Roman „Die Unerreichbarkeit von Innsbruck“ (2018) oder auch dem oben bereits zitierten Erzählband „Am Ufer meines Setzkastens“ (2021) wird geflohen und verfolgt, wird gelaufen und gestürzt – und immer wieder neu angesetzt. Dabei bedient sich die Autorin eines breiten Registers an Referenzen, stellt dem Gefundenen das Erfundene (stets auch: sprachlich) bei, wandert zwischen Genres und Bezügen.

Gabriele Petricek schreibt, so mein Eindruck, auch deshalb nicht nur preiswürdige, sondern auch im besten Sinne rhizomatische, also wurzelartige und verästelte Literatur, die weder zahm noch harmlos ist; Literatur, die fordert – und in ihrer facettenreichen Dynamik anregend wirkt. Keep on moving, bitte.

Thomas Ballhausen

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2025