Keine Marionetten
Iris Blauensteiners Romane erzählen von Figuren, die am Rande stehen oder sich nicht zugehörig fühlen. In Kopfzecke (2016) ist es eine Frau, die ihre demenzkranke Mutter zuhause begleitet, in Atemhaut (2022) ein junger Angestellter, der in der digitalen Welt der Ego-Shooter Halt findet, und in ihrem neuen Romanprojekt Wildes Fleisch eine alleinstehende Herzchirurgin, die eine große Entscheidung zu treffen hat.
Die Autorin und Filmemacherin Iris Blauensteiner, die auch in ihrem Atelier im Weinviertel arbeitet, hat ein feinsinniges Gespür für die Schräglagen des Alltags und die Zumutungen, die durch die neoliberale Leistungsgesellschaft entstehen. Mehr noch, sie macht diese Zumutungen erfahrbar.
Blauensteiners Figuren mutieren dabei nicht zu Marionetten, die vorgeschoben werden, um eine Problematik zu behandeln. Sie stehen für sich. Es bleibt ausreichend Raum für die Leserinnen und Leser selbst Schlüsse zu ziehen. Diese Form der Literatur ist erfrischend unaufdringlich. Sie möchte einen nicht packen und auf eine Seite ziehen. Sie nimmt auf andere Art für sich ein, indem die Figuren zu Vertrauten werden. Man möchte mehr erfahren, deren Schicksal lässt einen nicht kalt. Im Gegenteil: Blauensteiners Literatur verdichtet und sättigt die Empathiefähigkeit ihrer Leserinnen und Leser.
„Wohin steuere ich“, fragt sich die Protagonistin in Blauensteiners Wildes Fleisch – wieder eine Geschichte, die Neugierde evoziert. Ein Stichwort sollte in Hinblick auf Blauensteiners Texte noch fallen: ein gewieft entwickelter Spannungsbogen.
Ursula Ebel