Herbert Lauermann

Musik

Die Form als Zentrum

Es ist gewiß nicht der Zufall, der hier Regie geführt hat. Denn so wie man Rohrau, den Geburtsort Joseph Haydns, im Haydn-Jahr 1982 zum Ort der Verleihung der diesjährigen Kulturpreise des Landes Niederösterreich erwählt hat, so charakteristisch ist es auch, daß sich in Herbert Lauermanns bislang jüngstem Opus, einem im Auftrag der Niederösterreich-Gesellschaft für Kunst und Kultur geschriebenen und bei Doblinger verlegten Streichquartett ein Haydn-Zitat findet. Und das nicht etwa, weil dieser Auftrag aus Anlaß des Haydn-Jahres vergeben wurde und einem Genre galt, das wie kein zweites mit Haydns Namen in Verbindung zu bringen ist. Herbert Lauermann nämlich, der 1955 in Wien geborene und seit langem schon in Stockerau wirkende Komponist, der auch Musikerziehung am dortigen Bundesrealgymnasium lehrt und sich zudem der Chorerziehung verschrieben hat, sucht in seinem Schaffen sehr wohl den Weg aus und derart den Konnex mit der musikalischen Tradition, was freilich weniger melodisch denn formal zu verstehen ist. Mit anderen Worten: Er nennt, um Vorbilder befragt, mit Johann Sebastian Bach, Gustav Mahler und Witold Lutoslawski gleich drei Komponisten, denen formale Meisterschaft und zeitgemäßer Expressionismus zu eigen ist, die jeweils bewußt aus der ihnen bekannten Tradition schöpften und daraus zu einer Erweiterung formaler Strukturen kamen, ohne freilich deren Herkommen auch nur im Ansatz zu leugnen. Um es gleich in einem Beispiel auszudrücken: Mahler hat nicht umsonst den ersten und zweiten Satz seiner fünften Symphonie zur ersten Abteilung zusammengefaßt, ergibt doch erst die Zusammenschau dieser beiden ersten Sätze, daß sie gemeinsam einen Sonatenhauptsatz bilden und sohin die erste Abteilung erst das in sich geschlossene formale Ganze ist. Und das zeigt, daß Mahler eine längst Tradition gewordene Form in einer sehr persönlichen Art verändert, erweitert und eben daraus Neues entstehen läßt. Genau darum aber geht es auch dem jungen Stokkerauer, der, bevor er mit dem Förderungspreis für Musik des Landes Niederösterreich bedacht wurde, schon eine ganze Reihe von Stipendien und Preisen des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, der Stadt Wien und auch des Landes Niederösterreich auf sich vereinen konnte, dessen Opera bereits auf das Interesse des ORF, aber auch des WDR stießen und von dessen Schaffen auch einiges schon im Druck vorliegt. Zu zeigen, daß stets die Form das Zentrum bildet, welche ihren Ausgang wiederum bewußt aus traditierten Modellen bezieht, ohne freilich persönliche Ideen und facettenreiche Perspektivik verleugnen zu müssen. Und steht einmal die Struktur, dann erhält auch das melodische Material den ihm gemäßen Inhalt. Denn Melos ohne formales Gerüst bleibt zumeist farblos, entwickelt nur in sparsamen Momenten Spannung und erweckt derart kaum jenes Interesse, das Charakteristikum eines guten Stücks ist. Daß Lauermann bei seinem Bemühen, seine Ansicht zum Thema Musik introvertiert und mit spannungsgeladener Attitüde zu formulieren, dazu auf immer neue Besetzungen stößt, ist auch einfach und sehr plausibel zu erklären. Entstammt doch ein Teil seines Werkes ganz spezifischen Anregungen- so sein Verbum I für den Pianisten Harald Ossberger und Verbum II für den Geiger Waleri Gradow oder die 1978 uraufgeführte Suite-like für das Wiener Blockflötenensemble – oder wurde es einfach derart in Auftrag gegeben. Und dazu gehört nicht nur das bereits erwähnte, traditionelle Formen in einem Satz verknüpfende Streichquartett, sondern auch die für den WDR konzipierte radiophone Collage ,,Das Ehepaar“, die im August auch in ö 1 zu hören war, ein Chorwerk mit dem Titel ,, Beziehungen? – Aktion für Doppelchor und einen Chorleiter“ für das ,,Internationale Chorfest Innsbruck 1982″ des Osterreichischen Sängerbundes oder aber auch ,,Geschichte vom Drachen“, ein Opus für Kinder, geschrieben über Bestellung der Kammermusiktage Eckartsau. Apropos Kinder: Für sie hat Lauermann eine sechsteilige ORF-Serie mit Titel „ Das Tüüt“ komponiert, die ziemlich Resonanz gefunden hat. Das Ensemble 20. Jahrhundert wiederum, um eine weitere ,,Lauermannsche Besetzungsvariante“ ins Spiel zu bringen, hat sein Equus I für Einsemble aufgeführt, und in Eichgraben und Dortmund gab es jüngst erst seine Kantate für acht Stimmen und Kammerensemble ,,In Hoffnung treiben“, der gemeinsame Versuch eines Gesamtkunstwerks ‚mit dem Graphiker Herwig Zens und dem Literaten Gerhard E. Ortner zu hören. Bleibt noch, und das ist nach all dem gewiß sehr naheliegend, Lauermanns Verhältnis zur zweiten Wiener Schule, zu Schönberg, Webern und Berg also, zu hinterfragen. Und auch das kennzeichnet seine schon jetzt sehr autarke Position. Er, der Schüler von Ernst Vogel und Erich Urbanner, der selbstverständlich auch bei Friedrich Cerha gehört hat und auch pointiert über den traditionellen Musikbetrieb in verschiedenen Publikationen zu formulieren weiß, schätzt aus dieser Reihe ganz ausdrücklich Berg. Wo nämlich Schönberg sich zuweilen in seinem gefundenen Modell korsettiert, dort findet Berg zu jener Synthese von formaler Konsequenz und Flexibilität sowie expressivem Gestus, wie es immer wieder auch Lauermanns erklärtes Ziel ist. Und was Webern anbelangt, so erklärt er, offen und sympathisch, daß ihm sein Aphorismus einfach nicht liegt, wenngleich er selbstverständlich um dessen Größe weiß und sie betont.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1982