Immer nie brav*
Bekannt ist die Künstlerin für ihren einzigartig talentierten Blick, ihr feinfühliges Gespür Menschen und Situationen und Menschen in Situationen zu fotografieren. Sie hält die sehr intimen Momente fest und macht diese auf eine unver-gleichliche Art zu Portraits von verblüffender Direktheit und Schönheit wie feministischer Relevanz. Sätze wie die folgenden, die aus einem Interview mit Maren Gröning stammen, lassen ahnen,welches Universum sich beim Betrachten und Nachdenken über Heidi Harsiebers Kunst ausbreiten wird: „Für meine Identität war es eine Bereicherung, zu reflektieren zwischen meiner Sicht, der ,Sicht’ des Objektivs, und der Sicht des Auftraggebers bzw. dem, was der Auftraggeber sehen will. Ich fand diese doch sehr verschiedenen Sichtweisen legitim. Meine Identität habe ich zu einem großen Teil über die Fotografie gefunden.“ Diese biografischen Sätze, die einfach und pragmatisch erscheinen, verknüpfen sich auf eine äußerst interessante Art mit komplexen und komplizierten, existenzialistischen, feministischen Fragestellungen über den Körper und gesellschaftliche Tabuthemen in der Kunst und Fotografie von Heidi Harsieber. Die Künstlerin wurde 1948 in Gloggnitz, Niederösterreich geboren und absolvierte nach einer Fotografinnenlehre die Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. Wie sie sagt, war für sie dort ein wichtiger Lehrer Ernst Hartmann (1907–1983), der seinen Schülerinnen und Schülern die Kunst des 20. Jahrhunderts näherbrachte und eine intensive Auseinandersetzung anregte. Nach dem Abschluss an der Graphischen, den sie gemeinsam mit Friedl Kubelka machte, und da die Künstlerin ihren Gewerbeschein in Gloggnitz erhalten hatte, mietete sie dort ein Zimmer – als Fotoatelier mit Geschäftsadresse, das beide betrieben. In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren begann sie neben der Ausübung der gewerblichen Fotografie ein eigenständiges, künstlerisches Werk zu entwickeln. Anfänglich produzierte sie in der Tradition der abstrakten Fotografie Mittelformatdias, die sie in Serien anordnete und projizierte. Dazu verwendete sie eigene Tonaufnahmen und arbeitete eng mit Franz Koglmann zusammen. Heidi Harsieber, die in Gloggnitz und Wien arbeitet, bezeichnet sich selbst als „unverbesserliche Handarbeiterin“, entwickelt ihre analog fotografierten Schwarz-Weiß-Negative selbst, experimentiert mit Polaroids, ihre technische Versiertheit charakterisiert ihre Fotografien. Thematisch tritt im Laufe der Jahre immer mehr der Mensch und der menschliche Körper ins Zentrum ihres künstlerischen Interesses – vor allem die Inszenierung ihres eigenen Körpers ist von Feminismus und dem Wiener Aktionismus geprägt. Kompromisslos, schonungslos und zugleich höchst poetisch. Themen wie Sexualität, Gender, Erotik, Begehren, Krankheit, Schmerz, Tod und, mit ihrem zunehmenden Alter, der alternde Körper – auch ihr eigener – ein solitäres Lehrstück, an dem sich Generationen junger Kunstschaffender abarbeiten konnten und können. Von 1977 bis 1985 leitet sie die Fotozentralwerkstätte an der Universität für angewandte Kunst in Wien, ist 1982 Kuratorin der Ausstellung „Fotografie im Vergleich zur freiimprovisierten Musik“ für das Festival Ex tempore Wien. 82 im Museum des 20. Jahrhunderts, von 1991 bis 2001 Lehrbeauftragte für Dokumentationsfotografie an der MKL für Restaurierung Universität für angewandte Kunst in Wien, dann folgen 2004 ein Auslandsstipendium des BKA in London und 2015 die Auszeichnung mit dem Staatsstipendium für künstlerische Fotografie. Ihre Werke werden international und innerhalb Österreichs in vielen renommierten Galerien und Museen gezeigt, unter anderem in der Österreichischen Galerie Belvedere Wien, Ortner 2 in Wien, Galerie Fotohof Salzburg, Christine König Galerie Wien, Museum der Moderne Salzburg, Landesmuseum Niederösterreich St. Pölten, in der Galerie Hummel Wien, Fotogalerie Wien, Lolapoloza Project Space Oxford, Galerie Jünger und Galerie Charim, Wien, im Lentos Kunstmuseum, Linz, im 21er Haus, Wien und im MUSAC – Museo de Arte Contemporáneo de Castilla y León, um nur einige zu nennen. Die Jury gratuliert und freut sich, diese Ausnahmekünstlerin, die ihre künstlerische Position und ihr Werk mit einer Stringenz und Unermüdlichkeit im Kontext der internationalen feministischen Avantgarde entwickelt hat, mit diesem Preis einstimmig zu würdigen.
*Der Titel „Immer nie brav“ ist an den Titel „Immer schön brav“ des gleichnamigen Fotobuchs, das 2009 in der Fotohof Edition, Salzburg erschienen ist, angelehnt. Die zitierten Sätze wurden ebenso daraus entnommen.