Ein Jäger (und Sammler) des Zufalls(-Objekts)
Daniel Spoerri blickt auf ein über 60-jähriges Schaffen zurück, das die Kunstgeschichte nachhaltig geprägt und mehrere Generationen von Menschen beeinflusst hat. Wir würdigen einen Weltkünstler, dessen Werk in Hadersdorf am Kamp erlebbar ist.
1930 in Galaţi, Rumänien, als Daniel Isaac Feinstein geboren, floh Spoerri 1942 gemeinsam mit einem Teil seiner Familie in die Schweiz; sein Vater wurde Opfer der Shoah. Nach der Adoption durch seinen Onkel begann Spoerri zunächst eine Karriere als Tänzer und später als Theaterregisseur. In den 1960er-Jahren wurde er Mitbegründer der Gruppe des „Nouveau Réalisme“ unter Pierre Restany. Neben Arman, César, Yves Klein und Jean Tinguely avancierte er zu einem künstlerischen Weltstar.
1960 erfand Spoerri das „Fallenbild“, einen entscheidenden Beitrag zur neuen Objektkunst. Dabei werden nach einem Essen auf dem Tisch „gefallene“ Gegenstände – Reste, Abfall, Zigarettenstummel – auf einer Tischplatte fixiert und diese dann im 90°-Winkel an die Wand gehängt. Das Herunterfallen wird zum Teil des Werks, in Verbindung mit einem sprachspielerischen, neudadaistischen Humor, der an seine Nähe zu Theater und Literatur erinnert. Besonders intensiv war seine Zusammenarbeit mit dem Schweizer Künstler André Thomkins (1930–1985) und Dieter Roth. Gemeinsam eröffneten sie 1968 in Düsseldorf das „Restaurant der sieben Sinne“, wodurch Spoerri zu einem Pionier der Eat Art wurde.
Spoerri verband seine Kunst mit kulinarischen Performances, die er während Professuren in Köln, München, Berlin und Wien fortführte. Dabei lud er Freundinnen, Studierende, Sammlerinnen und kuriose Gäste wie „Karl Marx“ oder „Friedrich Schiller“ an seine Tische ein. Ein großer Tisch mit Essensresten wurde beispielsweise vergraben und Jahre später wie eine archäologische Ausgrabung wiederentdeckt.
Die Assemblage- und Eat-Art-Arbeiten ergänzte Spoerri später durch Land Art, etwa in seinem „Giardino“ in Seggiano, Italien, wo er auch Olivenöl und Wein kultivierte. 2008/09 kehrte er nach Wien zurück, wo er bereits 1987 mit Studierenden der Angewandten Kunst das Manieristische Hypnodrom in der Börse installiert hatte. Zudem rekonstruierte er das 1978/79 in Köln entstandene Musée Sentimental in Krems. 2010 ehrte ihn die Kunsthalle Krems zu seinem 80. Geburtstag mit einer Retrospektive.
Sein Lebensmittelpunkt wurde schließlich Hadersdorf am Kamp. Dort erwarb er das alte Kloster und Kino, gründete das ab.art-Kunststaulager und ein weiteres Restaurant am Hauptplatz. Im Museum stehen seine Prillwitzer Skulpturen – inspiriert von Idolen des 18. Jahrhunderts. Barbara Räderscheidt, die Spoerris Gesamtwerk aufarbeitet, lädt dort Freund*innen aus aller Welt zu thematischen Sommerausstellungen ein.
Das Lokal zeigt ein beinahe endloses Fallenbild mit Assemblagen aus auf Flohmärkten gesammelten Objekten, die Spoerri zu Collagen kombiniert – oft mit fotografischen Elementen, die Natur, Enzyklopädien von Diderot oder Charles Le Brun, Moritaten sowie wissenschaftliche und ethnologische Fundstücke einbeziehen. Wie Wieland Schmied 1996 warnte: Wer über Daniel Spoerri spricht, tut dies auf eigene Gefahr – sein Werk ist umfangreich, vielschichtig und faszinierend.