Alois Eder

Literatur

Erkannt und verkannt werden

Wer sich anschickt, Alois Eders Werk im Sinne einer üblichen Laudatio vorzustellen, gerät in Verlegenheit. Nicht der Mangel an Anzuführendem bereitet Sorge, sondern die Vielfalt führt zur besorgten Frage: Wo anfangen? Ist vom Essayisten Alois Eder zu sprechen, der er schon von Anbeginn an war, vermutlich schon im Gymnasium, zur Freude und zum Argernis seiner Lehrer? Soll man von ihm, dem Zeitschriftenherausgeber sprechen? Vom Organisator? Vom treffend formulierenden Literaturkritiker? Vom philologisch gewissenhaften Herausgeber? Vom Erzähler, Aphoristiker, Lyriker oder Übersetzer? Vom Sozialhistoriker, vom Polyhistor, vom Linguisten, vom Germanisten, vom Barockforscher? Vom Lehrer Alois Eder, der er ja auch ist?
Ich will der Redlichkeit halber nur davon berichten, wie ich ihn kenne, seit mehr als zwanzig Jahren, beinahe ein Vierteljahrhundert. Von den Studenten, die damals um 1968 das Proseminar bevölkerten, stach er auf Grund seiner Sachkenntnis hervor: Der knapp Zwanzigjährige operierte souverän mit dem Gesamtwerk von Nestroy, Karl Kraus, Herzmanovsky-Orlando, er disputierte mit einer Geläufigkeit, die die lehrenden (darunter auch mich) zwang, von ihm zu lernen. Früh schon konnte sich Alois Eder als Linguist profilieren; er brach in den Debatten die Fronten auf und eröffnete seine eigene. Der Devise Heinrich Bölls ,,Einmischung erwünscht“ folgte er getreulich auch dort, wo diese höchst unerwünscht war. Den jungen Germanisten und Historikern brachte ein Lektorat nach Wroclaw, und von da hielt er hüben wie drüben mit den etablierten Universitätsgermanisten Schritt. Seine Publikationen zu Nestroy und Wiener Volkskomödie, zu Thomas Bernhard und Herzmanovsky-Orlando, zeichnen sich durch ihre wissenschaftliche Verve aus, und sie haben auch Stil – ein Beweis dafür, dass Wissenschaftlichkeit und Lesbarkeit einander nicht notwendig ausschließen müssen.
In seinen lyrischen Versuchen zeigte sich Alois Eder als ein ganz anderer als jener, der in den wissenschaftlichen Texten sich zu Wort meldete. Da sind seine ,,Polenlieder“ zu nennen, worin auch schmerzliche Töne anklingen; das Gedicht ,,Klagelied auf den Tod einer Singstimme“ gehört für mich auf Grund seiner Dezenz gerade heute zu den noch immer aktuellen Gedichten. Alois Eder kann verschiedene lyrische Töne zum Klingen bringen, und das Gedicht auf die Synagoge in St. Pölten mag als Beispiel dafür dienen, wie für dieses prekäre Thema die konservative Formensprache eines Karl Kraus das angebrachte Mittel ist.
Auch wenn Alois Eder in seinen poetischen Texten ganz anders zu sprechen scheint als in den wissenschaftlichen, so ist er doch der Theoretiker, die Theorie steht seiner Poesie nicht im Wege, sondern ist deren notwendiges Ferment. Das früh gewählte Pseudonym Alois Beer weist auf den Barockautor Johannes Beer, dessen drastische realistische Kunst so just der Widerpart zu aller höfischen Manier ist, dessen Werk aber lange von der Literaturwissenschaft unbeachtet blieb. Vielleicht ist die Wahl dieses Pseudonyms auch schicksalhaft für Alois Eder und für seine Art von Literatur, die es darauf anlegt, nur durch das Verkannt werden erkannt zu werden. Und es ist in der Tat für den Liebhaber schwer, der Texte Eders habhaft zu werden; man muss da schon manche Grenzgänge über den ,,Limes“ hinaus in den ,,Morgen“ tun, um seiner Prosatexte habhaft zu werden. Und wenn einem die Freundlichkeit des Autors nicht seine Schriften zur Verfügung stellt, so bekommt man etwa den brillant-parabolischen Versuch über ,,Spatzen und Meisen“ kaum zu Gesicht. Eders Verdienst für das literarische Leben einer Region ist heute wohl noch kaum abzuschätzen; Kulturarbeit setzt – und alle empirischen Forschungen sprechen dafür – im kleineren Kreis an, so sie intensiv wirken will. Die Unmittelbarkeit bei der Wiedergabe der Schreiberfahrung ist etwas, das nur der Freund und Lehrer zu vermitteln mag. Das ist eine schöne und mühsame Aufgabe. zugleich. Mit seiner Arbeit für die Literatur aus Osterreich hat Alois Eder auf Einhaltung eines Standards gedrungen, der eine ideale Plattform für eine Diskussion auch komplexer Materien schafft. In diesem Sinne möge die Verleihung des Preises an Alois Eder bewirken, dass seine literarische wie organisatorische Tätigkeit als Muster auch anderswo wahrgenommen werde.
Als Freund Alois Eders darf ich zum Abschluss noch einen Punkt zur Sprache bringen, der mich etwas wehmütig stimmt: Es gibt von ihm ein großes Manuskript, das den Gegensatz von Göttlichkeit und Bestialität im Barock zum Gegenstand hat. Vor Jahren habe ich es gelesen und war davon sehr beeindruckt. Leider ruht es noch in einer Schreibtischlade; es würde nicht nur sein ,,opus magnum“ werden, sollte er es vollenden und veröffentlichen, es würde auch – burschikos formuliert – der Germanistik ,,die Haxen ausreißen“.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1990