Alois Lindenbauer

Bildende Kunst

Inside out

Bildhauer, land-a rt-Künstler oder Geomorphologe im Dienste der Kunst: Es ist unmöglich, das umfangreiche Wirken Alois Lindenbauers mit nur einer Berufsbezeichnung zu erfassen. Der 1947 geborene Künstler bewegt sich seit Jahren an der Schnittstelle unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche. Lindenbauers Arbeiten umspannen ein Berufsfeld, das sich einer eindeutigen Definition entzieht; ein Feld, das bestehende Kunstbegriffe überwindet und neue erschafft. Die Schwierigkeit, Lindenbauers Kunst adäquat zu benennen, ergibt sich aus der Komplexität seines Skulpturbegriffes. Entgegen der gängigen, einem Grundgedanken der Moderne verpflichteten Auffassung vom Kunstwerk als autonomem und für sich selbst sprechenden Gegenstand verweisen Lindenbauers Arbeiten über die eigene künstlerische Objekthaftigkeit hinaus. Indem der Künstler die Natur, besser: das Naturerleben zum unverzichtbaren Bestandteil seines Schaffens macht, werden seine Skulpturen in neue Sinnzusammenhänge gestellt. Das Kunstwerk erstarrt nicht in eitler Selbstbezüg lieh keit, sondern präsentiert sich in jeder Hinsicht als offene Form. Das ist zuallererst wörtlich zu verstehen. Lindenbauers Skulpturen sind keine hermetischen Blöcke, sondern weisen Öffnungen auf: Mulden, Kerben, Schlitze, die einen Blick ins Innere gewähren. Sie tragen Titel wie ,,Öffnungszeiten“, ,,Warteraum“ oder ,,Versteck des Flötenspielers“. Immer wieder geht es um den Zustand dahinter, um das Aufbrechen der Oberfläche und das Freilegen der Innenseiten. Einen vorläufigen Höhepunkt dieser Innen/ Außen-Thematik stellen Lindenbauers ,,Sickerungen“ dar. Es handelt sich dabei um eine Reihe von Holzgebilden, in deren muldenförmige Vertiefungen farbige Flüssigkeiten – Extrakte aus Heilpflanzen – gefüllt werden. Das Ei nd ringen der Flüssigkeit ins Holz, ihr langsames Durchsickern, das Austreten der Farbe am anderen Ende und die dabei entstehenden koloristischen Veränderungen sowohl des Farbstoffes selbst wie auch der Holzmaserung: all das sind Prozesse, auf die der Künstler nur mehr bedingt Einfluß nehmen kann; Vorgänge, die sich weitgehend selbstständig im und am Trägermaterial ereignen. Lindenbauer wird so zum äußeren Impulsgeber für den inneren Ablauf von Kunst. Künstler und Material treten in ein wechselseitiges, paritätisch es Verhältnis. Auffallend ist dabei der Respekt, der den Materia lien gezollt wird. Li ndenbauer sieht in ihnen mehr als nur das notwendige Medium seines subjektiven Gestaltungswillens. Er tritt vielmehr in eine Art Dialog mit ihnen und bemüht sich, sie als aktive Ausdrucksträger weitgehend in ihrer materiellen Wesenhaftigkeit zu belassen. Das hat zweifelsohne etwas zu tun mit Lindenbauers persönlichem Zugang zur Natur. Die Natur war stets eine direkte Inspirationsquelle für sein Werk. Eine Quelle allerdings, die körperlich erfahren, eigentlich: ergangen werden will. Man mag darin vielleicht auch einen Reflex auf Lindenbauers Teilnahme an diversen Bildhauersymposien im In- und Ausland (z.B. Untersberg/ Salzburg, Portoroz/Slowenien, Klaipeda/Litauen, Gifu/Japan) erblicken. Das Arbeiten in der Natur gemeinsam mit Künstlerkollegen ist häufig von einer spürbaren Achtung geprägt, die dem Gestein entgegengebracht wird. Das Wissen um die Herkunft des Materials bewirkt eine Haltung, die den Steinbruch nicht als frei verfügbaren Fundus ansieht, sondern als einen Ort der Begegnung und vo rsi ch ti gen Annäherung. Alois Lindenbauer selbst formulierte dieses Bewußtsein als Prinzip seiner Kunst in konziser Form: ,,Skulptur ist zum Maß finden, im Denken wie im Tun. Zum Fühlen und Berühren, Schauen und Herumgehen. Verbindung von Augenblick und Ursprung. Immer wieder das erstemal sich Annähern. Raum, positiv wie negativ, den ich verdeutliche. Das Gefäß hafte, die Möglichkeit des darin Bewahrens, damit Bewegens, des Schützens, des darin Seins. Betonung besonderer Bereiche. Skulptur soll ein wenig haben von Erlöstheit. Ich mag Material, zu dem ich gehen kann, das wartet, da ist, um mich ist, dem ich zuschauen und das ich mehr sein lassen kann.“ Diese Sätze bedürfen keiner weiteren Ausführungen.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1997