Andreas Breuss MSc

Architektur
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Lehmhaus Mitterretzbach

Achte auf die Formen, in denen der Bauer baut. Denn sie sind der Urväter Weisheit geronnene Substanz. Aber suche den Grund der Form auf. Haben die Fortschritte der Technik es möglich gemacht, die Form zu verbessern, so ist immer diese Verbesserung zu verwenden. (1913) Diese berühmten Sätze schrieb Adolf Loos in einer Zeit, als sich bereits abzeichnete, dass eine tiefgreifende Umwälzung des Bauens unmittelbar vor der Tür stand. «Der Urväter Weisheit geronnene Substanz» wurde zwar zum geflügelten Wort, hatte jedoch kaum Auswirkungen. Andere Kräfte setzten sich durch. Die Realität unseres Bauens ist keine behutsame Anpassung an die Formen der Urväter, keine Suche nach dem Grund der Form. Umso bemerkenswerter ist es daher, wenn sich ein heutiger Architekt eines Streckhofes annimmt und diesen behutsam, aber entschieden in unsere Zeit überführt. Das Haus stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde aus Lehm errichtet, also aus dem ältesten Baustoff der Menschheit. Physikalisch handelt es sich um eine Mischung aus Sand, Schluff und Ton, die durch Verwitterung von Feststoffen entstanden ist. Diese wunderbare Substanz ist immer da, sie liegt buchstäblich unter unseren Füßen. Die Urväter bauten aus diesem Lehm ihre Häuser. Andreas Breuss zeigt mit seinem Lehmhaus, dass dieser schwere Baustoff mit seinen guten Wärmespeichereigenschaften, der ganz ohne Kunststoffe und Zement auskommt, auch für heutige Lebensweisen optimal ist. Mit einigen gekonnten Interventionen, wie dem Absenken des Fußbodens oder dem Einziehen einer neuen Decke aus unbehandelten, sägerauen Kieferbrettern, entstand eine untrennbare Einheit aus Alt und Neu. Der ökologische Aspekt ist übrigens ein wesentlicher Bestandteil dieser Entwurfshaltung: Der Schiffboden wurde nur mit Seifenlauge behandelt, der Dachboden ausschließlich mit Strohballen gedämmt. Die Arbeit von Andreas Breuss beherzigt damit endlich die Aufforderung von Adolf Loos, dass Veränderungen der alten Bauweisen nur dann erlaubt seien, wenn sie auch eine Verbesserung bedeuten. Dieser Nachweis wurde in Mitterretzbach erbracht.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2016