Barbara Neuwirth

Literatur
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Dieser besondere Blick

«Dass die Stimme mich in eine Welt gerufen hat, die der Fantasie des Mannes entspringt», sagt die Icherzählerin in einer von Barbara Neuwirths fantastischen Geschichten, in denen sie magischem Fühlen und Erleben bewusst Raum gibt und unser Erfahrungswissen auf das Glatteis widerspruchsvoller Parallelwelten lockt. Beide Geschlechter werden immer aufs Neue zu Landschaften – geliebten, gefürchteten Landschaften, Dschungeln und Wüsten, abseitigen, bedrohlichen Gegenden zwischen Donau und Thaya, der Landschaft ihrer Kindheit, Sümpfen und spinnwebfein umsponnenen taufunkelnden Kraftplätzen. Manche Figur in Neuwirths zahlreichen Prosawerken entzieht sich dem Bedürfnis, beim Lesen zu unterscheiden, ob man es nach dem Willen der Autorin mit einem lebenden Menschen, einem Geist, einer Erscheinung, einem toten Wiedergänger zu tun haben soll. Aus realistisch anmutender Flucht von Vater und Tochter in «Seltsame Planeten» wechselt die Schilderung immer wieder in Fantasiewelten des Kindes und zurück. Was zum äußeren Geschehen und was zum Albtraum des Kindes gehört, was sich Ängsten und Sehnsüchten traumsicher verdankt und was der sogenannten Realität, soll man nicht klar unterscheiden können. Barbara Neuwirth geht damit konsequent und mutig gegen die Zerlegungen und Unterscheidungen gewollt rationalen analytischen Denkens an. «Dieser besondere Blick», sagt Marianne Gruber über ihr Werk, «ist der Blick einer Frau, die zur Revolte angetreten ist gegen nicht hinterfragte Konventionen, gegen die Machtspiele der Welt, und die dies im Kleid fantastischer Erzählungen tut. Indem sie ihre Leser in das Unheimliche verstrickt, in eine Welt, in der uns nichts vertraut ist, denunziert sie das Gegebene, dem wir vertrauen, als vertrauensunwürdig.» Georg Pichler formuliert es so: «Scheinbar mühelos gelingt es der Erzählerin, […] den Leser […] an die Grenzen des Beschreibbaren zu führen, in die Nähe des inneren Bezirks des wahren Empfindens vorzudringen. Ein untrügliches Zeichen erzählerischer Meisterschaft.»

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2009