Bernhard Leitner

Medienkunst
Künstlerisches Video, Kunst im elektronischen Raum und die Grenzen von Fachdisziplinen überschreitende Kunst

Ton – Raum – Skulptur – Körper

Vom Auge zum Ohr und retour im Werk von Bernhard Leitner Überschreitung und Verschmelzung verschiedenster traditioneller Gattungen, Medien und Materialien sind eines der hervorragendsten Kennzeichen der Geschichte der Bildenden Kunst im 20. Jahrhundert: ,,Intermedia“ und „Synästhesie“ sind dabei bestimmende Begriffe geworden, die sich einerseits auf das Moment des Technischen, andererseits auf das Moment des Psychologischen beziehen. Neben der Auseinandersetzung zwischen Bildender Kunst und Malerei für die Paul Klee nur ein signifikantes Beispiel darstellt – waren es erste Formen der Aktionskunst in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts (Dadaismus, Futurismus) und nach dem zweiten Weltkrieg das Happening (Allan Kaprow), Performance, Fluxus (John Cage) oder der Aktionismus in Österreich, die sich als Schnittpunkt und Transgression verschiedenster Kunstformen (Musik, Bildende Kunst, Theater) verstanden. Die ,,Musikalisierungsmöglichkeit“ von Bildender Kunst und die „Bildungsmöglichkeit“ von Musik spielt dabei eine wesentliche Rolle und ist bereits im 19. Jahrhundert ein nachdrückliches Thema, das in der Klassischen Modeme einen ersten Höhepunkt fand. ,,Klangkunst“ oder „Soundart“ sind in den letzten 25 Jahren gängige Bezeichnungen für die Verschränkung von Bildender Kunst und Musik geworden. Das zunehmende Verschwinden ihrer Repräsentationsfunktion (Mimesis) und das Entstehen neuer Medien bewirkte auch die Durchsetzung nicht nur eines neuen Materialbegriffs, sondern auch eine neue Fügung und Kombinatorik verschiedenster Materialien wie Farbe, Licht und Klang, die auch neue Formen der Collage (etwa Sampling) darstellen. Dabei geht es immer weniger um Analogie- oder Äquivalenzverhältnisse, sondern um die Möglichkeit neuer prozessualer Phänomene und Wahrnehmungsmöglichkeiten.
Wie ich zu diesem grenzüberschreitenden künstlerischen Gebiet gekommen bin, ist nicht einfach nachzuvollziehen. Jedenfalls hat sich um 1968 die Idee ,,Ton-Raum“ konkretisiert, aus mehreren Kanälen gespeist beziehungsweise befruchtet….
Dabei ging es mir nicht darum, musikalisch-räumlich zu denken, wie etwa Stockhausen oder Nono, sondern gestalterisch, bildend mit Klang zu arbeiten. Dazu kam noch mein großes Interesse an technischen Instrumentarien in der Kunst des 20. Jahrhunderts, sowohl in der elektroakustischen Musik als auch in der Licht- und Bewegungskunst. Das floss alles zusammen zu einer Idee: Der Klang ist nach der revolutionären Entwicklung der Tontechnik heute in einer solchen Exaktheit produzierbar und reproduzierbar, dass ich ihn als Material, als künstlerisch-gestalterisches Material verwenden kann, formuliert der 1938 in Feldkirch geborene, lange Zeit in New York lebende und seit 1987 an der Hochschule für Angewandte Kunst Wien lehrende Bernhard Leitner die Grundzüge seines künstlerischen Arbeitens, das sich aus den avantgardistischen und innovativen Kunstrichtungen des frühen 20. Jahrhunderts heraus entwickelte. Leitner verwendet hier bewusst den Terminus Ton anstelle von Klang, um eine deutlichere Distanz zum Musikalischen zu gewinnen. Ton ist nicht mehr ein Synonym für Musik, sondern für akustisches Material, das in besonderer Beziehung zum Raum steht, in so ferne es die Möglichkeit birgt, neue Raumfindungen zu konstituieren. ,,Ton-Tor“, „Kreuzungen“, „Ton-Platz“ (1970), „Walzen-Gang“ (1971) sind erste Werke eines Denkens von Raum als Ton, das sich zunehmend als ,,Sound Architecture“ zu begreifen begonnen hat (Leitner verfügt über ein Anfang der sechziger Jahre abgeschlossenes Architekturstudium an der Technischen Hochschule Wien, er rettete übrigens 1971 das Wittgensteinhaus vor dem Abriss). Dabei wurden Tonlandschaften in Form von räumlichen Lautsprecherinstallationen entwickelt, die sich der Betrachter/Hörer physisch, also körperlich ergehen musste. Das dabei entstehende inversive Verhältnis von Wahrnehmen und Hören, von Raum(bild) und Ton ist eine Quintessenz seines gesamten Oeuvres bis heute. Die Triade von Ton-Raum – Körper erfährt in der ,,Ton-Liege I“ (1975) eine bemerkenswerte Notation: Die Erfahrung bzw. Erfahrbarkeit von Raum als Ton löst sich von der Bewegung des Körpers im Architekturraum, wobei der Körper selbst zu einem tonalen ,,Innenraum“ mutiert. In den achtziger Jahren schuf Leitner immer größere Tonraumarbeiten mit eigenen Architekturen und installativen Baukörpern. In Verbindung mit der sich rasant weiterentwickelnden tontechnischen Möglichkeiten durch Computer und digitale Soundmöglichkeiten konnte er nun frühe Ideen erstmals zu realisieren beginnen. Diese Impulse durch technologische Möglichkeiten verstehen sich immer als instrumentale Möglichkeiten und nicht als Autoreferenz im Sinne eines Autonomiedenkens der Moderne. Befindet man sich in einer seiner Ton-Rauminstallation, werden nicht nur die Grenzen zwischen Körper, Raum und Ton aufgehoben, sondern eine neue Dimension dieser Triade ermöglicht, die zu faszinierenden Membranen werden. Kraft der Immaterialität des Tons und den daraus resultierenden Körper- und Raumerfahrungen wird eine Intensität hergestellt, die spirituellen Charakter birgt. Der „Ton-Raum“ in Buchberg am Kamp (1991) oder die „Tonhöhe“ in der Kollegienkirche in Salzburg (1996) sind diesbezüglich nicht nur Arbeiten mit den avanciertesten technologischen Möglichkeiten, sondern fokussieren auch das Thematische seiner Arbeit: Die Aufhebung einer Hierarchie der Sinne, d.h. die Aufhebung der seit dem Ende des Mittelalters einsetzenden Privilegierung des Sehens/Auges als Instrument rationaler Welterkennung und Aufklärung. Dem Akustischen mit seiner besonderen emotionalen Relevanz wird der Status des Magischen, ja Mystischen wieder gegeben. Der Ton verwandelt den Raum und den Körper in einen Zustand aufgehobener Zeit, jenem Moment, von dem Paul Klee als erster in der Vermählung von Bildender Kunst und Musik gesprochen hat. Der „documenta 7″ und ,,Biennale Venedig“-Teilnehmer (1986) Bernhard Leitner situiert damit aber auch eine neue Begrifflichkeit und Materialisierbarkeit von Plastischem, bzw. Skulpturalem. Die Immaterialität des Tons wird durch die körperliche (Ent-)Materialisierung des „Betrachters“ zu einem vibrierenden Erlebnis im Spannungsfeld von physischem und mentalem Realitätsbewusstsein – und macht uns „sichtbar“, in welchen Geräuschkatastrophen wir uns alltäglich bewegen.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2002