Vom ephemeren Sein des Zeichens
Brigitte Kowanz entwickelt Objekte und Installationen, die den Betrachtenden einer latenten Unbestimmtheit aussetzen. Ihre zwischen Objekt- und Zeichenhaftigkeit changierenden Arbeiten entziehen sich dem Versuch näherer inhaltlicher Bestimmung und schaffen perzeptive Unsicherheiten in mehrfacher Hinsicht. In geradezu zeichnerisch anmutenden Lichtkonstellationen und -gefügen lässt Kowanz den Betrachtenden Zeichen und Formen weniger erkennen als erahnen. Die Künstlerin gibt dem Betrachtenden nicht zu sehen, sondern führt ihm die Labilität der Wahrnehmung selbst vor Augen.
Kowanz gilt als Pionierin der österreichischen Medienkunst. Ihre Arbeiten waren wegweisend im Umgang mit Licht als eigenständigem ästhetischem Medium. Licht, Bedingung jeglicher visuellen Wahrnehmung, rückt bei Kowanz als basales wahrnehmungsevokatives Medium ins Zentrum der Untersuchung. Die Künstlerin arbeitet mit verspiegeltem Glas, mit luzid reflektierenden Bildflächen, die dem Betrachtenden die «Grundlage» des jeweils Wahrgenommenen zu entziehen scheinen: Das Gesehene lässt sich nicht auf eine «Ursache», einen piktoralen oder objekthaften Träger, zurückführen und somit verdinglichen, es zeigt sich vielmehr immateriell und flüchtig. Die Künstlerin arbeitet mit einem komplexen Gefüge ephemerer Medien – Licht, Spiegelglas, Sprache –, um einen unzureichenden Begriff von Wahrnehmung im Sinne von Aufzeichnung/Abbildung zu dekonstruieren. Ihre Arbeiten handeln von der Labilität und letztlich der Prozessualität der Wahrnehmung. Kowanz’ Werke sind dabei nicht bloß Metaphern für perzeptive Unbestimmtheit und die zeichenhafte Codierung von Wirklichkeit, sie versuchen vielmehr das «Sein» der Zeichen, ihre medialen und soziokulturellen Determinanten, zu reflektieren.
Der Spiegel dient Kowanz als Instrument, den Blick an den Betrachtenden zurückzuwenden, aber auch, das ästhetische Objekt in sich zu verspiegeln, d. h. das Lichtgeschehen kaleidoskopartig zu streuen und dem Betrachtenden damit unzugänglich zu machen. Die Spiegeltableaus und -kästen zeigen dem Betrachtenden nicht bloß Lichtzeichen und zeichenformationen, sondern stets auch deren Reflexionen an darunter und darüber liegenden Spiegelglasebenen. Die multiple Erscheinungsform eröffnet einen imaginären Bildraum, der sich im Unendlichen zu verlieren scheint, und bedingt zudem eine Temporalisierung der Wahrnehmung: Der Betrachtende vermag hier längst nicht mehr zu bestimmen, welche Lichtkonstellation oder welches Lichtzeichen Vorbild, also «Ursprung», und welches Nach- oder Abbild sei. Die Künstlerin betreibt eine gezielte Entmaterialisierung des Wahrgenommenen, eine Art Dekonstruktion physischer Präsenz.
Kowanz lässt das Wahrnehmungsgeschehen nicht bloß perzeptiv und visuell, sondern ebenso als zeichenhaften Prozess erscheinen. Sie rekurriert bereits in frühen Arbeiten auf Zeichensysteme wie das Morsealphabet oder den binären Code. Der Betrachtende ist versucht, Zugang zu einem ästhetischen Geschehen zu erlangen, das sich ihm auf mehrfache Weise entzieht – optisch-visuell, zeichenhaftsemiotisch und schließlich ontologisch. Kowanz überantwortet den Betrachtenden jedoch nicht gänzlich der Dekonstruktion von Wahrnehmung und Wirklichkeit. Sie wählt vielmehr ein Prinzip tautologischer Irritation und ästhetischer Paradoxie. Mit der Affizierung des Betrachtenden durch das Medium Licht wird eine konzentrierte, zugleich höchst instabile Wahrnehmungssituation geschaffen. Einerseits behaupten die Arbeiten, dass Wirklichkeit der medialen und kulturellen Codierung unterliegt, Unmittelbarkeit und direkte Wahrnehmung demnach mit einem Fragezeichen zu versehen seien, andererseits schafft die Künstlerin durch die Affizierung des Betrachtenden ein Hier und Jetzt, das – wenn auch nur für einen Moment – jeglichen Zweifel an der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung in den Hintergrund treten lässt. Auf diese Weise führt die Künstlerin dem Betrachtenden die Subroutinen des eigenen Sehens vor Augen. Gegenstand dieser perzeptivsemiotischen Befragung ist letztlich nicht ein bestimmtes ästhetisches Objekt oder Ereignis, sondern die Ambivalenz der Wahrnehmung selbst.