Dialekt als Distanzierungsmittel?
Gleich wenn man Brigitte Wiedls „Gedichte im Dialekt“ zu lesen beginnt, merkt man, dass diese Texte nichts zu tun haben mit der üblichen Vorstellung von „freundlichen, heiteren“ Dialektgedichten. Der Dialekt ist hier keineswegs die Basis zum Wohlfühlen, kein Medium, das Vertrautheit, Geborgenheit innerhalb der räumlichen Begrenzung „Heimat“ hervorruft, er ist vielmehr die Sprache der Fremdheit und der Gewalt.
Nach ihrer Einstellung zum Dialekt gefragt, meint die Autorin, sie habe immer nur hochdeutsche Literatur, besonders die Klassiker bewundert, habe immer nur Hochdeutsch gesprochen. Sie wuchs in Wien auf, besuchte hier das Akademische Gymnasium und hatte praktisch keine Beziehung zum Dialekt. Nach der Heirat mit ihrem ersten Mann übersiedelte sie ins Weinviertel. Dort fühlte sie sich isoliert, fremd und unglücklich. Insgesamt übersiedelte die Familie sechsmal. Immer fremd, mit drei kleinen Töchtern in einer zunehmend unglücklichen Ehe in ländlicher Umgebung gefangen, umgeben von der ihr fremden Art zu sprechen, assoziierte Wied! Dialekt irgendwie mit „Unglückssprache“. 1987 hatten schließlich die Kinder maturiert und verließen das Elternhaus. Brigitte Wied! ließ sich von ihrem Mann scheiden und begann wieder zu schreiben. Ihr erster Erfolg war das Gedicht „Zweisprachig“ (zuerst erschienen in „Literaturforum“ 2/1988) in dem sie Hochsprache und Dialekt kontrastiv einsetzt: Hochsprache steht für das Äußerliche, wie die Mutter über ihr Kind spricht. Dialekt repräsentiert die ungeschminkte Wahrheit, die negativen Gefühle der Mutter gegenüber ihrem Kind. In dieser Umbruchphase entstehen noch mehr Dialektgedichte. Zehn Jahre später, mittlerweile sind mehrere Lyrikbände erschienen, eine neue, erfüllte Beziehung wurde eingegangen, holt die Erinnerungen an die traumatisierende Vergangenheit die Autorin noch einmal ein. Wieder entstehen Gedichte im Dialekt; der aus 66 Texten bestehende Zyklus „Nix wia weg“ wird wie eine Eruption in nur zwanzig Tagen emporgeschleudert. Schreiben ist Überlebensstrategie geworden: „i soitadfensta putzn – oba i schreib / i soitad schlofn -oba i schreib / i soitad mi eigentli aufhängan – oba i schreib / wäu – schreim ist mei lebm.“
Der Dialekt ist das einzige passende Medium, die Brutalität des beschriebenen Ehe- und Familienlebens des lyrischen Ich (wie sehr es mit der erfahrenen Realität der Autorin identisch ist, wagt man nicht zu fragen) wiederzugeben. Er verfremdet als literarisches Mittel, was in der Hochsprache zu alltäglich wirken könnte, hebt durch seine Unmittelbarkeit und musikalische Qualität auch Einfaches zur Kunstsprache und dient der Autorin als Möglichkeit zur Distanzierung. Etwas, das nicht mehr das eigene sein soll (das frühere Leben, hauptsächlich das von außen kommende Leid, aber vielleicht auch eigene, von jedem denkenden Individuum schmerzlich erkannte Unzulänglichkeiten) wird möglichst plastisch heraufbeschworen in einer Sprache, die nicht die eigene ist und wird durch diese Bearbeitung verarbeitet. Dem Leser eröffnet sich ein Inferno, das den Atem stocken lässt. Die Darstellung der Familie als Brutstätte für Gewalt und Verletzungen, die kaum wieder heilbar sind, rüttelt auf.
Literatur birgt meistens, wie verschleiert auch immer, autobiographische Elemente, besonders für Lyrik ist das eigene Leben Nährboden. Hier wird dem Leser- auch wenn sich in dem Zyklus Fiktives befinden mag – ziemlich direkter Einblick in eine Lebensproblematik gegeben. Diese Unumwundenheit mag manche erschrecken, aber nur durch die Direktheit können die Texte so betroffen machen und der um ihr Leben Schreibenden Therapie sein. Würde sie verschleiern, könnte sie selbst nur verdrängen und dem Leser seinerseits das Verdrängen gestatten. Und das wäre nicht der Zweck dieses Schreibens – und die Texte hätten nicht diese Qualität.