Die Leidenschaft hat gesiegt
Musik hat im Leben von Burkhard Stangl immer schon eine wesentliche Rolle gespielt. Und doch war er sich nach der Matura keineswegs sicher, in welche Richtung er weitergehen sollte. Eine einjährige Europa-Reise aber, die er sich größtenteils durch Tätigkeiten etwa als Bauarbeiter oder Rezeptionist selbst finanzierte, brachte dann die gewünschte Entscheidung. Denn in Paris, im Centre Pompidou, fand er Zeit, sich in wesentliche theoretische Musikliteratur unseres Jahrhunderts zu vertiefen. Und damit war auch schon die Entscheidungen in Richtung Musikstudium gefallen.
Stangl freilich wählte nicht einen der dafür üblichen Wege, sondern inskribierte und dies als Nebenfach- Musikwissenschaft, um sich vorrangig einmal mit Ethnologie auseinanderzusetzen. Das Fach, in dem er gerade dabei ist, seine Dissertation zu schreiben. Sie ist übrigens der Wechselbeziehung „Der Ethnologe als Künstler und der Künstler als Ethnologe“ gewidmet.
Wann er sie tatsächlich fertiggestellt haben wird, weiß Stangl nicht. Den längst ist er schon mitten im Beruf, und das gleich doppelt – als Gitarrist wie Komponist.
Geboren wurde Stangl 1960 in Eggenburg. Vater und Mutter sangen im dortigen Stadtchor, und zusammen mit seinen zwei weiteren Geschwistern wurde eifrig Hausmusik gepflegt. Zwischen 200 und300 Lieder sind es, die seine Eltern heute in ihrem Repertoire haben. Kaum jährig begann Stangl Klavier zu lernen, was ihm heute als Komponist sehr zugute kommt. Bald aber wandte er sich der Gitarre zu, wo er das Glick hatte, einen hervorragenden Lehrer zu finden: den Karl Scheit-Schüler Manfred Palmberger.
Neben der Ethnologie und der Musikwissenschaft, wo er dank Gerhard Kubik auch bald großes Interesse für die afro-amerikanische Musikkultur entfaltete, blieb für Burkhard Stangl auch nach der Matura die praktische Musikausübung ein Thema. Er besuchte eine Gitarreklasse am Wiener Konservatorium, hörte dort auch Tonsatz-Vorlesungen und ließ sich in Kursen von Professor Heinz Kratochwil in die Eigenheiten der Chorkomposition einweihen.
Um diese Zeit begann sich Stangl auch intensiv mit dem Jazz auseinanderzusetzen, was folgerichtig einen Wechsel von der klassischen zur Jazz- beziehungsweise E-Gitarre zur Folge hatte.
TON. ART heißt das Ensemble, das Stangl dann Anfang der achtziger Jahre gründet und mit dem er auch heute noch erfolgreich tätig ist. Knapp später, 1985, lässt er mit einem wissenschaftlichen Dokumentarfilm über den letzten Notenstecher in Wien aufhorchen.
Trotz aller auch weiterhin gepflegter wissenschaftlicher Ambitionen aber hat sich Stangls künftiger Weglingst entschieden. „Die Leidenschaft zur Musik“ hat den Sieg über alle übrigen Interessen davongetragen.
So sehr er um die Wichtigkeit und das Wertvolle der Volksmusik weil, so wenig findet sich davon im bisherigen, vor allem der unterschiedlich besetzten Kammermusik zugehörigen Oeuvre von Burkhard Stangl. Er nämlich knüpft hier vorrangig an die von Schönberg über Berg und Webern zu Boulez und Nono führende Linie an. Was also heißt, dass er Musik schätzt, die quasi mikroskopisch determiniert ist. Mit Kalkül alleine aber will Stangl nichts zu tun haben. Vielmehr geht es ihm in seinem Schaffen darum, ,,betroffen zu machen“ und keine aufgesetzte Botschaft“ zu vermitteln. Sie soll- so Stangl weiter – „Anlass zum Nachdenken“ sein.
Selbst um eine Charakteristik seines Opus gebeten, qualifiziert es Stangl zum einen als. sperrig, distanziert, verhalten und gespannt ruhig“, um dann zum anderen auf ein anderes Phänomen seines kompositorischen Werks zu sprechen zu kommen: die Improvisation. Und zwar führt er ein sogenanntes „musikalisches Tagebuch“. Was nichts Anderes bedeutet, als dass er stets bei seinen täglichen Improvisationen auf der Gitarre oder am Klavier ein Tonband mitlaufen lässt. Beim anschließenden Abhören stößt er dann immer wieder auf Tonfolgen, die ihm Anstöße für künftige Werke bieten. Und wohl ist es dieser Kunstkniff aus Improvisation und bis ins Detail überlegter Konstruktion, der Stangls Werke nie mathematisch ausgeklügelt, sondern stets von durchaus eigenwilliger Vitalität durchzogen erscheinen lässt. Womit es dann auch kein Zufall ist, wenn er, zu Vorbildern befragt, die Russin Sofia Gubaidulina mit ihren überraschungsreich-nachdenklichen Werken nennt. Fasziniert zeigt er sich aber auch von den Vokalwerken der Renaissance und wie könnte es bei seinem kompositorischen Ansatz auch anders sein – natürlich von der Wiener Schule, aber auch einigen großen Komponisten der Romantik, wie etwa Tschaikowsky.
Längst ist Stangl in der zeitgenössischen Interpreten- und Komponistenszene- nicht zuletzt dank einiger Platteneinspielungen ein Begriff. Stetig steigt die Zahl der Auftragswerke, was ihn schon jetzt ziemlich auslastet. Auch freilich, weil hier in meist kurzer Zeit von ihm Verschiedenes gewünscht wird, wie etwa für demnächst eine Theatermusik, sehr wahrscheinlich ein Opernwerk, aber auch ein Posaunenkonzert. Dazu kommt die Verwirklichung seiner Idee, einmal gezielt Werke jener österreichischen Komponisten aufzuführen, die nach Hollywood emigriert sind. Und schließlich auch noch das Kokettieren mit der Absicht, an die Ethnologie-Dissertation auch noch die musikwissenschaftlichen Rigorosen anzuschließen, um sich auch künftig die immer schon gepflegte Vielseitigkeit zu wahren. Auch wenn längst über den Primat der Komposition und des Gitarre Spiels kein Zweifel mehr besteht.