Von Bild zu Bild
Jedes Bild ist wie aus dem vorigen weitergeschrieben“, sagt Lotte Seyerl, und sie meint damit, dass jeder Schritt, den sie als Malerin geht, ein Schritt nach vorne ist, auch wenn, man nie weiß, was mit einem geschieht, es besteht ja auch immer die Gefahr, abzustürzen“.
Bisher ist Lotte Seyerl noch nicht abgestürzt, ihr Weg geht konsequent und stetig zu einer immer reduzierteren Form, zu einer immer vertiefteren Malerei mit unendlichen Schichten und farblichen Geheimnissen. Manchmal beginnt sie beinahe gegenständlich und malt das Bild dann immer mehr zu. Manchmal erzählt sie sogar eine Geschichte, die ihr aber dann plötzlich nicht mehr so wichtig ist und die sie dann wieder mit Farbschichten überdeckt. Sie zerstört sie nicht, sie lässt sie stehen, malt sie aber zu. Das aber wiederum, so weiß sie, ist die Energie einer Arbeit, ist die Kraft, die im Unsichtbaren steckt, und die erkennbar wird, selbst dann, wenn weder die Figur noch die Farbe, die unter der obersten Schicht liegt, gesehen wird. Sie ist da, als unverlierbares Gut des Inhalts. ,,Jeder Gedanke, den man denkt, jedes Gebet, das man stumm verrichtet, ist im Universum“, sagte mir einmal ein Priester, in einer Zeit großer Verlorenheit und Angst. Nichts geht verloren – das ist auch die Erfahrung von Lotte Seyerl. ihr macht es nichts aus, wenn ein Bild weitgehend in Rot übrigbleibt, denn sie, weil ja, dass darunter Blau und Grau ist, Weiß und Gelb. Nur die oberste Schicht ist das Rot und das hat die Energie und die Kraft aller darunterliegenden Farben Geheimnis und Spiel, Geschichte und Verzauberung zugleich.
Nicht, dass alle Bilder nur aus Farbe bestünden, es sind auch Formen da und Zeichen. Vor ein paar Jahren waren es Stierköpfe, die sie immer mehr reduzierte, bis nur mehr die Hörner blieben, als letzte Erinnerung an den Stier, der ihr als Synonym für Kraft und Stolz galt, aber auch als Beispiel für das Schlachtvieh und als Opfertier. Von diesem beinahe konkreten Thema hat sie sich abgewandt, „es muss immer ein neuer Weg gefunden werden“, sagt sie, und dann macht sie einen Schritt, und es entsteht wieder eine neue Serie, ein neues Thema, ein neues Bild, einen neueren Ansatz. In den letzten Jahren wurden die Formen immer strenger, immer einfacher, immer weniger gegenständlich. Abstrakte Formen, scheinbar zufällig ins Bild eingesetzt, wenn man aber genau schaut, sitzen sie am einzigen „richtigen“ Platz, sind sie sicher und gekonnt in die Fläche komponiert.
Lotte Seyerl geht es um die Unmittelbarkeit der Malerei. Sie ist zwar eine sehr überlegte und nachdenkliche Künstlerin, sie bezeichnet sich aber als durchaus spontan und ganz dem Augenblick des Schaffens hingegeben, .es“ malt aus ihr, und sie überlässt sich ganz dem Moment des Tuns, als einem Prozess, der in ihr und außer ihr geschieht, auf den sie nur partiell Einfluss hat, dem sie aber aus langer Erfahrung vertraut.
Der Raum ist der Künstlerin wichtig, die Farbe und die Struktur der Fläche. Manche Bilder sind pastos gemalt mit viel Farbe und dickem Auftrag mit kraftvollen Pinselstrichen. Andere Bilder haben aber auch collageartige Oberflächen. Sie verwendet verschiedene Materialien, die der Fläche Raum und Tiefe geben und die ein lebendiges Licht- und Schattenspiel ergeben. Längst sind noch nicht alle Möglichkeiten versucht, ist die Vereinfachung und Vertiefung nicht abgeschlossen. Die Sehnsucht besteht, immer leichter zu werden, tänzerisch beinahe, und die Bewegung ins Bild zu holen, als einen neuen Weg. Linien und Wege führen ja schon längst unter den vielen Schichten, und manche sind schon so leicht und bewegt, wie sie sich das wünscht, aber noch sind sie nicht ganz befreit, es sind noch Schritte zu tun, und der Weg ist noch nicht zu Ende. Immer offener wird die Malerin und immer freier, und die Assoziationen werden erst später gefunden. Es gilt das Tun, das unmittelbare Malen und das immer tiefere Eindringen in die Geheimnisse der eigenen Sehnsucht und des eigenen Wollens.