Christa Rothmeier

Sonderpreis
Literarische Übersetzung

Aufschluss geben über die unmittelbare Nachbarschaft

Vor über zwanzig Jahren, im August 1976, fand sich in einer Publikation von Amnesty International eine Handvoll bemerkenswerter Rocksongs, die aus dem Tschechischen erstmals ins Deutsche übersetzt wurden. Die Gruppe namens ,,Plastic People of the Universe“,von der sie stammten, ist heute längst eine Legende, und der Glanz jener frechen und frohen Lieder lag darin, daß da mitten in einer Ära der staatlichen Zensur und gesellschaftlichen Apathie ein paar junge Rebellen wie selbstverständlich zu vereinen wußten, was doch kaum je einmal zusammenpaßt: künstlerischen Anspruch und Massenwirksamkeit, Avantgarde und Popularität. Die Liedtexte lasen sich auf Deutsch ganz vortrefflich, indes doch nirgendwo verzeichnet stand, wem dieser Fund zu verdanken war. Mitjener anonymen Nachdichtung begann die Laufbahn der Übersetzerin Christa Rothmeier, und wie sie begann, das ist für die 1948 im niederösterreichischen Altenmarkt im Yspertal geborene, heute in Klosterneuburg lebende Slawistin sehr bezeichnend. Mit ihrer wachen Neugier für die tschechische Sprache und ihrer großen Liebe zur tschechischen Literatur trat Christa Rothmeier immer ganz hinter das Werk zurück, das es für sie zu übersetzen galt. Nicht um ihre persönlichen stilistischen Vorlieben geht es ihr, sondern darum, das fremde Wo rt der Poesie in einer anderen, in unserer Sprache neu erstehen zu lassen. Darin liegt allerhöchster Anspruch, aber auch die Nötigung zum Verzicht. Der Übersetzer drängt sich nicht in den Vordergrund, seine Brillanz ist eine vornehme, die meist umso größer ist, je weniger sie schon auf den ersten Blick ins Auge springt. Dem Anspruch, Poesie genau und schöpferisch, doch frei von Eitelkeit zu übertragen, ist Rothmeier mittlerweile in einer Vielzahl von Übersetzungen gerecht geworden. Sie ist freilich nicht nur Übersetzerin, sondern auch Entdeckerin, denn was sie übersetzt, das hat sie nicht den Bestsellerlisten abgeschaut. Von Jakub Deml zu Jan Skacel sind es gerade die sprachlich für schwierig geltenden Klassiker der tschechischen Moderne, die sie uns in einem biegsamen Deutsch vermittelt, und von Ivan Binar zu Petr Borkovec jene Jüngeren, die dereinstvielleicht als klassische Stimm en unserer Zeit erscheinen werden. Mit Ivan Binar, der seine literarische Wahrhaftigkeit zu realsozialistischen Zeiten mit Gefängnis und Exilierung bezahlte, verbindet Rothmeier eine lange literarische Zusammenarbeit. Schon 1979 hatte sie ein Prosastück von ihm in der Zeitschrift ,,Literatur und Kritik“ veröffentlicht, und 1997 sollte sie endlich ein Buch Binars auf deutsch heraus-bringen können, das ihr besonders am Herzen liegt. „Die Kunstkitterei“, im Wiener Zsolnay-Verlag erschienen, ist die oft auflachend komische, dann wieder anrührende Geschichte eines Emigranten, der aus der kommunistischen Tschechoslowakei ins benachbarte Österreich kommt und sich in Wien bald seltsam vertraut, bald gänzlich fremd fühlt. Die Ausgelassenheit wie die Melancholie, die kauzige Phantastik wie die wehmütige Dringlichkeit dieses Romans, Christa Rothmeier hat sie bewegend in die deutsche Sprache hinüber zu setzen gewußt. Freilich, auch hier hat sie mehr getan. Sie hat uns nicht nur einen Roman aus Schwejkschem Geist zugänglich gemacht, sondern das Ihre beigetragen, daß Nachbarn ein wenig mehr von einander wissen. So charakterisiert, was Binar eingangs der „Kunstkitterei“ von seinem Roman sagt, auch Christa Rothmeier und ihr Metier des Übersetzens: ,,Er will den Bewohnern einer fremden Welt Aufschluß geben über eine Welt, die in der gleichen Zeitzone, in unmittelbarer Nachbarschaft angesiedelt ist und doch ganz anders abläuft.“

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1997