Christine Moderbacher

Medienkunst
Kunstfilm – Künstlerischer Spielfilm oder künstlerischer Dokumentarfilm
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«Lettre à Mohamed»

Wie der Titel des Films verspricht, wird uns die Stimme Christine Moderbachers durch ihren Film führen – als laut gelesener Brief an einen tunesischen Freund. Der Text begleitet uns auf einer impressionistischen Reise durch ein Tunesien im Umbruch, ein Tunesien nach der Revolution. Der Film bietet weder detaillierte politische oder historische Informationen, noch einen erzählerischen Bogen im konventionellen Sinne. Stattdessen werden wir aus der Perspektive der Beziehung der Filmemacherin zu ihrem Freund Mohamed an einen Ort versetzt, an dem die Filmemacherin mehrere Jahre gelebt und gearbeitet hat. Ihr Brief dient als Linse, durch die wir auf den komplexen Moment des Umbruchs blicken, auf die damit verbundenen kulturellen und sozialen Veränderungen. Zu sehen sind Details individueller Leben: ein Geflecht aus Bildern und Gesprächen mit Familie, Freunden, Kindern und Fremden, deren alltägliches Leben sich im radikalen Wandel befindet. Traumartige «Re-Inszenierungen» spiegeln Fragmente der Rebellion. Zugleich repräsentieren sie die Fragilität von Gedächtnis und Geschichte im Moment ihrer Entstehung.
Zur Schönheit des Films und seiner Kraft trägt auch die Verwendung nicht-industrieller Formate wie Super 8 bei: ein viel menschlicherer Maßstab als das große Filmformat. Das Fehlen einer vordergründigen Geschichte, einer dramatischen Struktur wird durch die einfühlsame Beobachtung gelebter Leben aufgewogen.
«Geschichte» im Moment ist flüchtig: Erst im Rückblick entsteht aus einem gefundenen Konsens eine kollektive Erzählung. Echte Menschen, ihre Sehnsüchte und Kämpfe gehen während dieser Entstehung von Geschichte oft verloren.
Christine Moderbachers «Lettre à Mohamed» bietet einen Einblick in diese menschliche Dimension eines im Wandel begriffenen Tunesien, fragt nach Zugewinn, nach Verlusten und entwickelt zugleich eine einfühlsame kinematografische Stimme. Christine Moderbacher hat ihre Fähigkeiten als ethnografische Geschichtenerzählerin verfeinert, ohne dabei jenen Blick zu verlieren, den ihre Herkunft und Heimat St. Pölten geprägt hat.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2015