Die Waldviertlakdemie

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Die Proportionen wahren

Es ist ausgeschlossen, das geistige Leben und die Bemühungen, die zu ihm führen, ohne Ironie zu betrachten. Etiketten wie ,,Forum Alpbach“ oder eben auch ,,Waldviertel Akademie“ haben etwas aufgeplustert Bedeutungsvolles, also einen Schaden, der für Spott gar nicht zu sorgen braucht denn: Was soll heutzutage, in der sogenannten „Mediengesellschaft“, schon ein Forum oder eine Akademie?
Wenn man dem Forum oder der Akademie außerdem noch regionale Titel beifügt, „Alpbach“ oder „Waldviertel, dann wird das Provinzielle des Geltungsanspruchs überdeutlich. Hinzu kommt, dass nicht nur das intellektuelle Leben ins Komische abgleitet, sondern dass vor allem das Leben der Intellektuellen seine längst schon verlachten Seiten hat: Jürgen Habermas zum Beispiel hat in seinem ,,Strukturwandel der Öffentlichkeit“ die sogenannte „Podiumskultur“ als eine Variante der kommerzialisierten Öffentlichkeit gekennzeichnet, und von Karl Heinz Bohrer stammt die spöttische Einsicht, dass auf diesen Podien bloß „Moderatoren Moderatoren moderieren“.
Die skeptische Distanz zu den eigenen Lebensformen, (oder wenigstens zu denen der „Kollegen“), gehört nicht zu den schlechtesten Eigenschaften der Intellektuellen. Es ist freilich auch offenkundig, dass es in der „Mediengesellschaft“ neben intelligenter Kritik auch Tendenzen zur Geistfreundlichkeit gibt, die allerdings keine Distanz halten: Mit ihnen wird Denken und argumentierendes Sprechen überhaupt verachtet, es soll verschwinden, es taugt nicht zur Unterhaltung und liefert höchstens einer von der übrigen Menschheit, vom „Volk“ abgelösten Kaste Gelegenheit, die eigene Bedeutung auf Kosten anderer zu zelebrieren. Und nun die These: Wenn es in Österreich eine Institution gibt, die die Geistfeindlichkeit unmöglich und die die kritischen Argumente gegen den intellektuellen Betrieb zu einer Teilwahrheit machen kann, dann ist es die Waldviertel-Akademie. Das liegt in erster Linie daran, dass Müller-Funk (Abbildung) behutsam, aber engagiert – wie soll man es sagen? „die Proportionen wahrt“.
Über die Jahre hat es sich eingespielt, wie viele Leute wie lange wo sprechen sollen. Die Themen sind immer sehr nahe den aktuellen Debatten, aber doch noch weit genug entfernt, um nicht bloß ins Modische abzustürzen. Es hat sich auch ein Kern von jungen Wissenschaftlern verschiedenster Schulen herausgebildet, die jeder Veranstaltung ein Gerüst, eine vernünftige Prägung geben können. Leeres, ausuferndes Gerede ist in der Waldviertel-Akademie so selten, dass es, falls es doch vorkommt, sogar auffüllt.
In der „Mediengesellschaft“, (also in einer Gesellschaft, die ihre Selbst- Reflexion oder Nicht- Reflexion über Medien abwickelt), ist das Bedürfnis nach kleineren kommunikativen Einheiten nicht gering. Man kann in der Waldviertel-Akademie beobachten, wie leidenschaftlich zur Sache und nicht zum Mikrophon oder zur Kamera gesprochen wird, auch die Konkurrenzen, die die großen Medien schrill ausbeuten würden, werden in sachlichen Differenzen ausgetragen. Das Schlichteste, nämlich, dass intelligente Menschen zusammenkommen und Probleme aus ihren verschiedenen Sichten besprechen, ist heute am schwersten zu haben: Immer mischt sich etwas Anderes ein, immer hört wer anderer zu, immer rauscht es in den Leitungen.
Die Waldviertel-Akademie ermöglicht ein höchstes Maß an spontaner, direkter Äußerung. Das kommt daher, dass dort nichts ,,auf dem Spiel“ steht: Keine Karriere muss sich beweisen, keiner muss einen anderen übertrumpfen, alle Kräfte können sich dem Thema widmen. In diesem Sinne hat Müller-Funk tatsächlich eine Akademie, eine freundliche, in der Sache unnachgiebige Denk- und Verständigungsschule ins Leben gerufen.
Die Waldviertel-Akademie hatte außerordentliche Höhepunkte, wie sie sich in ihrer Art nirgendwo ereignet haben. An zwei sei hier erinnert: an Prof. Friedrich Hackers Vortrag beim Symposion über „Die Geschlechter und ihre Mythen“ und an Prof. Hermann Lübbes Vortrag ,,Zur Aktualität der Religion“.
Akademien, in denen sich solche Sternstunden ereignen, sind eine Zuflucht und gleichzeitig eine Avantgarde in Zeiten wie diesen; solche Akademien mögen problematisch und kritisierbar sein, aber falls ein Land noch halbwegs im Einklang mit den eigenen und den fremden geistigen Traditionen leben möchte, (falls es auch seiner Bevölkerung den freien Zugang dazu einräumen will), dann ist es gut beraten, eine Institution wie die Waldviertel-Akademie nach Kräften zu hegen und zu pflegen.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1992