Die Volkskultur lässt aufhorchen
Wenn man die Schnittstelle zwischen tradierter Kultur und kulturellen Ausdrucksformen der Gegenwart sucht, wird man sie genau hier finden: Beim Volksmusikfestival Authohrchen. Es handelt sich dabei um wesentlich mehr als nur ein Festival, mehr als eine Volkskulturveranstaltung, mehr als bloß eine Veranstaltung. Auch den heute so hoch gelobten Event-Charakter wird man vergeblich suchen. Aufhohrchen ist eine Gemeinwesenarbeit. Der Name Dorli Draxler ist mit der Konzeption, Entwicklung und Durchführung des Musikfestivals Aufhohrchen so untrennbar verbunden wie mit der Volkskultur in Niederösterreich. Aus Graz stammend, hat sie sich der tradierten Kultur und ihrer Entwicklung in unserem Bundesland verschrieben. Nach der Absolvierung einer Reihe von Ausbildungen in verschiedenen Bereichen der Volkskultur und der Tätigkeit als Pädagogin in Mistelbach übernahm sie 1992 die Geschäftsführung des Niederösterreichischen Volksliedwerkes. Im selben Jahr hat sie auch das erste Authohrchen gemeinsam mit dem Club Niederösterreich in Tulln erdacht, als fortan durchs Land wanderndes jährlich stattfindendes Volksmusikfestival. Die Aufgabe heißt: Etablierung von nachhaltiger Kulturarbeit in einer Region. Das Werkzeug dazu ist eine besonders intensive Auseinandersetzung mit der Region, mit allen kreativen Kräften, allen Ressourcen, ein begleitetes Hinführen zurVeranstaltung, wobei die Entwicklung wichtiger ist als das Festival. Eingebunden werden alle maßgeblichen Einflußfaktoren der Region, von den kreativen Menschen über die Schulen bis hin zur Wirtschaft. Die Vorbereitungsarbeiten beginnen etwa ein Jahr vor dem Festival, haben ihren nach Außen sichtbaren Höhepunkt im Festival selber und werden abgeschlossen durch das im Folgejahr stattfindende Wiederaufhohrchen, einer Nachschau und Reflexion, einer Nachbereitung und Kontrolle der Auswirkungen im besten Sinn des Wortes. Angesprochen und eingeladen fühlen darf sich jeder, der teilnehmen und mitgestalten möchte. Ein wesentlicher Ansatz ist dabei das Überschreiten von Grenzen: Profis musizieren mit Amateuren, die Dorferneuerung kooperiert mit Leuten aus dem Museumsbereich, Pflichtschulen organisieren Projekte mit Berufsschulen, ein weites Feld von fächerübergreifenden, spartenübergreifenden, organisationsübergreifenden, über soziale Grenzen greifenden Entwicklungen entsteht. Kulturarbeit mit wesentlichen Auswirkungen auf das soziale Gefüge einer Region. Aufhohrchen hat zweifellos auch sehr dazu beigetragen, den Stellenwert der Volkskultur im allgemeinen Bewußtsein zu heben und die Vorurteile gegenüber dieser Form des kulturellen Ausdrukkes zu verringern. Attribute wie verstaubt, ewiggestrig, elitär, ideologisch belastet, starr, konservativ, langweilig werden heute in der veröffentlichten Meinung weniger häufig mit Volkskultur in Verbindung gebracht als etwa noch vor einem Jahrzehnt. Wesentliche Mitstreiter in diesem Prozeß der Erneuerung und Neubewertung waren Musiker und Künstler, die erfolgreich einen Brückenschlag von den althergebrachten zu modernen Ausdrucksformen der Volkskultur suchten und mit der sogenannten Neuen Volxmusik eine Marke geprägt haben, die für Qualität und Kreativität steht und sogar bis in die Hitparaden des Pop-Senders Ö3 vorgestoßen ist. Es ist gelungen, die Volksmusik aus ihrem im ausschließlich Traditionellen behafteten Korsett zu befreien, und zwar in mehrere Richtungen: Hin zum Pop, zum Jazz, zur Klassik, aber vor allem auch zu einer echten Erneuerung der Ursprünge und somit der soziokulturellen Funktion der Volkskultur: Dem Erzählen von Geschichten zur Stärkung des sozialen Gefüges einer Gemeinschaft. Daß diese ursprüngliche Funktion einen Wandel erlebt hat, ist selbstverständlich. In Zeiten der allgemeinen Mobilität verlaufen die sozialen Bindungen nicht mehr so stark wie früher innerhalb der Dorfgemeinschaft. War es damals das Interesse am Aufrechterhalten der Sozialgruppe Dorf, der man aufgrund der Immobilität der Bevölkerung kaum entrinnen konnte, so ist es heute eine andere Form von Interessensgemeinschaft: Ziele wie etwa Liebe zur Musik, zur Geselligkeit, der Gemeinschaft oder die Suche nach den eigenen Wurzeln sind wichtige Antriebskräfte. Daß die Volkskultur von gesellschaftspolitischer Relevanz ist, wird von niemand bezweifelt. Worin dieser Wert in der heutigen Zeit liegt, ist eine Betrachtung wert. Volkskultur ist Nachhaltige Kultur. Das bedeutet die vorrangige Umsetzung von regional und örtlich gut verankerten Kulturprojekten unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen, die Einbindung von regionalen Besonderheiten, egal ob landwirtschaftlich, geologisch, ökologisch, historisch oder wirtschaftlich und die Abstimmung auf die vorhandenen personellen Ressourcen.Umsetzen von Aktivitäten und Ideen, die sich vor Ort ohne grobe Eingriffe in die vorgegebenen Rahmenbedingungen verwirklichen lassen. Hervorheben der regionalen Besonderheiten ohne dabei in peinlichen Provinz-Chauvinisumus zu verfallen. Genau an diesem Punkt findet sich die Schnittstelle zur regionalen Kultur, wie sie von den freien Kulturinitiativen verstanden wird: Volkskultur als Event-Antibiotikum, als Mittel zur Re-Individualisierung der Menschen, als Weg, um ihnen bewußt oder bewußter werden zu lassen, daß Menschen, Regionen, kulturelle Ausdrucksformen nicht beliebig austauschbar sind. Daß wir in einer Zeit leben, in der weltweit nicht nur Tier- und Pflanzenarten verschwinden, sondern auch Sprachen, Volksgruppen und regionale Eigenheiten. Erkennen der eignen Besonderheiten um in einer Welt der zunehmenden Anpassung und Verarmung der kulturellen Ausdrucksformen stolz und selbstbewußt die eigene Identität leben zu können. Die aktive Auseinandersetzung mit Kultur bedeutet immer auch die Auseinandersetzung mit dem Andersartigen, Ungewöhnlichen, nicht der Norm entsprechenden, nicht immer schon gesehenen und gekannten. Es bedeutet immer eine Übung in Toleranz, im Akzeptieren von Lebensformen, die aus anderen Landschaften kommen und von anderen Landschaften geprägt wurden, kulturellen Ausdrucksformen, die bei oberflächlicher Betrachtung so unterschiedlich sind von den eigenen Kulturtechniken und die sich bei näherem Hinsehen in ihren wesentlichen Botschaften als so erstaunlich ähnlich zeigen: überall aufder Welt haben die Menschen dieselben wenigen Werkzeuge des kulturellen Ausdruckes entwickelt: Sie singen, tanzen, musizieren und malen, sie schauspielern, verfassen Texte, ob mündlich oder schriftlich.Und immer aus einem einzige Grund: Sie erzählen eine Geschichte. Und was sind die Herausforderungen der nächsten Jahre für eine erfolgreiche Kulturmanagerin? Vor allem: Die musikalische Ausbildung des Nachwuchses soll mit Praxisfeldern zusammengeschlossen werden. Die nächsten Jahre werden des weiteren vom Schlagwort Bündelung gekennzeichnet sein. Einer Angebotsinflation wird man möglicherweise entgegenwirken müssen, ganz im Sinne der nachhaltigen Kulturarbeit: Nicht eine hohe Quantität von verwechselbaren Angeboten ist das Ziel sondern Qualität, Unverwechselbarkeit, und: Weniger ist mehr. Wenn die kulturelle Äußerung zum Termin wird, im schlimmsten Fall zum Pflicht-Termin, ist die Zeit für Veränderungen nahe. Die Sprache ist eine wesentliche kulturelle Erungenschaft des Menschen. Aufhohrchen aufeinen Satz gebracht, mit der Sprache einer Gemeindesekretärin irgendwo in Niederösterreich: ,,Wissen Sie, auf einmal reden Leut miteinander, die vorher nie miteinander geredet haben.“