Die Liebe zu den slawischen Sprachen und Kulturen
Dorothea Müller-Ott wurde am 11.1.1936 in einer Tullner Beamtenfamilie geboren. Die Volksschule und das Gymnasium besuchte sie in Tulln, wo sie auch 1954 die Reifeprüfung ablegte, wobei sie Russisch als Maturafach hatte. Es ist deshalb nur logisch, daß sie in der Folge an der Universität Wien Slawistik (mit Russisch, Polnisch und Serbokroatisch) im Hauptfach und osteuropäische Geschichte im Nebenfach studierte. Darüber hinaus besuchte sie Lektorate und weitere slawische Sprachen (Ukrainisch, Slowenisch, Tschechisch und Bulgarisch). Gleichzeitig belegte sie die Lehrveranstaltungen für Russisch am Institut für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung. Während der Ferien nahm sie an den ersten Sommerkursen der Universität Warschau teil (1956/58), wo sie ihre Polnischkenntnisse verbesserte. Im April 1960 wurde sie zum Doktor der Philosophie promoviert. Nach dem Studienabschluß erhielt Dorothea Müller-Ott ein UNESCO Forschungsstipendium an der Universität Warschau, welches sie im Rahmen des damals gerade beginnenden Kulturaustausches zwischen Österreich und Polen verlängern konnte; somit verbrachte sie insgesamt zweieinhalb Jahre in Polen. Daß ihre Kenntnisse der polnischen Sprache, Kultur und Mentalität danach perfekt waren, versteht sich von selbst. Das eigentliche Forschungsgebiet der diesjährigen Preisträgerin war zwar die Sprachwissenschaft, sie beschäftigte sich jedoch bereits damals schon intensiv mit literarischen Übersetzungen. Drei ihrer Übersetzungen – zwei Theaterstücke von Jewgenij Schwarz (,,Der Drache“ und ,,Das alltägliche Wunder“) aus dem Russischen und das Lustspiel „Lebenskünstler“ von Zdzislaw Skowronski aus dem Polnischen erschienen in jener Zeit bei Kiepenheuer und Witsch in Köln. Nach ihrer Rückkehr aus Polen war Dorothea Müller-Ott zunächst als freiberufliche Übersetzerin tätig. Das Studienjahr 1968/69 verbrachte sie in der CSSR, sowohl in Prag als auch in Bratislava, wohin sie ein weiteres Forschungsstipendium erhielt. Damit waren auch ihre Kenntnisse der tschechischen und slowakischen Sprache fundiert. In den Jahren 1969-1971 hatte sie einen Lehrauftrag am Institut für Slawistik der Universität Heidelberg, wo sie u.a. Vorlesungen über die moderne polnische Literatur hielt. Im Jahrzehnt 1974-84 war sie hauptberuflich als Dolmetscherin und Übersetzerin für Russisch bei der Firma ÖSWAG tätig. 1975 erhielt sie gleichzeitig ihren ersten Lehrauftrag im Polnischlehrgang am Institut für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung der Universität Wien. Als erste Lektorin des Instituts hatte sie die Idee, eine Arbeitsgemeinschaft für literarisches Übersetzen zu organisieren. 1981 wurde unter ihrer Redaktion und Mitwirkung das erste Buch herausgebracht: ,,Neue Erzählungen aus Polen“. Nach diesem Erfolg wurde die Arbeitsgemeinschaft in eine Lehrveranstaltung des Instituts umgewidmet. In der Folge erschienen zahlreiche Übersetzungen aus dem Polnischen. Die Bemühungen Dorothea Müller-Otts, ihre Erfahrung und ihr Können auf dem Gebiet der literarischen Übersetzung an die nächste Generation weiterzuleiten, kann man gar nicht hoch genug schätzen. Kein anderer Lehrgang des Instituts für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung hat eine solche Lehrveranstaltung, im Rahmen welcher die angehenden Übersetzer die Möglichkeit haben, ihre Übersetzungen publiziert zu sehen. Für ihr Wirken für die polnische Kultur im deutschen Sprachraum bekam sie zwei polnische Auszeichnungen: 1975 im Rahmen eines internationalen Kongresses für Übersetzer der polnischen Literatur in Warschau die Auszeichnung ,,Verdienste für die polnische Kultur“ und 1990 die silberne Verdienstmedaille der Republik Polen. Dorothea Müller-Ott hat aber zwischenzeitlich auch 2 Theaterstücke für Kinder aus dem Slowakischen übersetzt. Der Erfolg der literarischen Übersetzungen von Dorothea Müller-Ott ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß sie aufgrund ihrer in die Tiefen gehenden Sprachkenntnisse und der zahlreichen Aufenthalte in vielen slawischen Ländern die Mentalität und die viel besungene ,,slawische Seele“ so gut versteht. Der Übersetzungstheoretiker György Rad6 schreibt in seinem Aufsatz ,,Zur Psychologie der literarischen Übersetzung“ unter anderem: ,, … und deshalb ist der literarische Übersetzer, wenn er gut arbeitet, ein Künstler im wahren Sinne des Wortes“.