„what if we could look at ourselves with non human eyes?”
So lautet der Titel einer fotografischen Arbeit aus einer Werkserie, die Edgar Honetschläger 2002 unter dem Titel SELL FEAR herausbrachte. Verkauft wurde damals nichts. Als er sich an die Serie im Mai 2024 erinnerte, war er selbst erstaunt, wie weit die Arbeiten ihrer Zeit voraus waren.
Edgar Honetschläger, geboren 1967 in Linz, bezeichnet sich als bildenden Künstler, Drehbuchautor, Filmemacher und Umweltaktivisten. Er hat auf mehreren Kontinenten gelebt und ist dabei tief in unterschiedlichste Kulturen eingetaucht.
So verließ er 1989 Wien in Richtung New York, wo er bis 1991/2 blieb. In der Folge übersiedelte er nach Tokio; dazu ermutigt hat ihn auch die Bemerkung eines Kunsthändlers in Manhattan, dass Honetschlägers Raumempfinden mit der japanischen Ästhetik eng verbunden sei. Tokio blieb bis 2011 seine „home base“, er schob jedoch längere Aufenthalte anderswo ein, darunter auch ein Jahr in Brasília und São Paolo. Die Nuklearkatastrophe in Fukushima bewog ihn zur Rückkehr nach Europa. Seither sind Wien und Italien seine Lebensmittelpunkte.
Doch all diese Hinweise werden dem Phänomen Honetschläger nur ansatzweise gerecht. Mit Sicherheit hat ihn die Vielfalt der Traditionen, Lebensweisen und künstlerischen Strömungen, die er an den Hauptorten seines Wirkens kennenlernen durfte, darin bestärkt, sich mit einem übergroßen Thema auseinanderzusetzen, das immer nachhaltiger in den Mittelpunkt seines Interesses rückte. Ein Thema, das mit den Begriffen Natur, Biodiversität, Verhältnis des Menschen zur Natur und ihren anderen Spezies, Schutz des Planeten Erde vor dem Menschen freilich unzureichend beschrieben ist. Um Edgar Honetschläger vollends zu verstehen, braucht es ein Mindset, das leider noch immer nicht selbstverständlich ist: ganzheitlich und nicht-anthropozentrisch, sondern mehr-als-menschlich!
An diesem Punkt kommt Honetschlägers Umweltaktivismus ins Spiel. Er ist Initiator von „GOBUGSGO – SET NATURE FREE“, einer Non-Profit-Organisation (NGO), die „Lebensraum für Insekten und Vögel durch kollektiven Kauf zurückgewinnt und zu non-human-zones erklärt. … interdisziplinär gegründet, vom Kollektiv getragen“ (vgl. https://gobugsgo.org/de/was-ist-gobugsgo). Damit ist auch der jüngste Bezug zu Niederösterreich angesprochen. Denn als im Rahmen von BIGART (und als Teil der Klima Biennale Wien) im Mai 2024 die künstlerische Intervention WALK OF INSECTS an der BOKU Wien feierlich eröffnet wurde, ging es nicht nur um das von Honetschläger zusammen mit der Insektenforscherin Dominique Zimmermann entwickelte künstlerische „Insektenmanifest“, bestehend aus 13 Forderungen zum Schutz von Insekten, und die dazu geschaffene permanente Arbeit auf dem Vorplatz des BOKU-Bibliotheksgebäudes. Als ebenso wichtiger Bestandteil des Projekts wurde ein Grundstück in einer ländlichen Gegend Niederösterreichs angekauft und zur „non-human-zone“ bestimmt. Mit dieser menschenfreien Zone will der Künstler Lebensraum an Insekten und Vögel zurückgeben und langfristig schützen. Für mich ein zukunftsweisendes Beispiel für künstlerischen Umweltaktivismus!
Bei Edgar Honetschläger wirkt die Verknüpfung von Werk und Aktivismus nie aufgesetzt, das eine fließt ganz natürlich ins andere und umgekehrt. Sie entspricht seiner Überzeugung, dass es nicht ausreicht, wenn sich Kunst kritisch mit der Klima-, Biodiversitäts- und ökologischen Gesamtkrise befasst, und dass Dystopien zu wenig sind. Für Honetschläger hat die Kunst die Pflicht, etwas konkret für die Natur zu tun – denn wir stünden längst am Abgrund. Gefragt seien künstlerische Utopien!
Zu Niederösterreich bestehen in Honetschlägers Lebenslauf zahlreiche weitere Verbindungen. Als eindrucksvolles rezentes Beispiel sei die von ihm 2023 auf Einladung von Globart für das Stift Melk realisierte Ausstellung mit dem (Fellini entlehnten) Titel E LA NAVE VA erwähnt: Das Boot segelt weiter, es hat aber nur eine verdorrte Pflanze an Bord und keine menschlichen Passagiere. Die Pflanze befährt die Weltmeere auf der Suche nach einem Platz, den ihr der Mensch verwehrt …
Diese Ausführungen machen klar: Ein würdigerer Träger des Würdigungspreises des Landes Niederösterreich in der Kategorie „Kultur und Regeneration“ ist nicht vorstellbar. Edgar Honetschläger ist ein Leuchtturm des neuen Zeitalters Regenerativer Kunst!
Christoph Thun-Hohenstein