Elfriede Ott

Darstellende Kunst

Viele Gesichter, das selbe Gesicht!

Sag, hast zu gestern die Ott gesehen? Die war einfach zum Niederknien!“ Ich habe diesen Satz von Menschen verschiedenen Temperaments, höchst unterschiedlichen Geschmacks und sehr verschiedener Interessen immer wieder gehört – ob „Ott“ zum Gaudium ihrer Bewunderer als köstliches Faktotum durch eine Ayckbourn-Komödie wie „Lampenfieber“ über die Bretter ihrer Josefstadt geisterte; ob sie „Katzenzungen“ spielte oder mit wunderbarer Behutsamkeit in einem Stück wie Shatters ,,Laura und Lotte“ in den Kammerspielen Herzenstöne zum Klingen brachte; ob sie etwa in dem TV-Krimi „Duett“ sich traute, vor Xaver Schwarzenbergers Kamera ganz und gar uneitel, ja durchaus ,,schiach zu sein“ – wie sie es selbst ausdrückt; oder wenn sie gar in der ,,Lieben Familie“ mit all ihrer Treffsicherheit ihre herzerfrischenden Fernseh-Pointen als böhmakelnde Otti ausspielte. Stets spürt man in ihrer Darstellung das Zusammenspiel von hoher Schule, die eine „Josefstädterin“ nun einmal auszeichnet, und hinreißendem Komödiantentum, richtiger: ,,Der erzkomödiantischen Tradition, die ,,die Ott“ sich im Umgang mit dem Alt-Wiener Volksschauspiel und Volkslied, mit Nestroy und der fröhlichen Gstanzlkunst, aber auch mit dem Wiener Kabarett schon sehr früh zu eigen gemacht hat. Sie ist im Sternzeichen des Zwillings geboren. Und daraus leitete sie für ihre Kunst ein ungeschriebenes Motto ab: ,,Viele Gesichter zu zeigen, aber immer dasselbe G’sicht!“ 0b sie einst im Burgtheater die Uraufführung von Gerhart Hauptmanns ,,Goldener Harfe“ spielte oder mit Benatzky und Fritz Kreisler brillierte, ob sie Lessing, Goethe und Grillparzer oder Raimund, Nestroy und Schnitzler spielte, ob sie mit unverwechselbarer Stimme Wienerisches „aufsingt“, in ,,Phantasien in Ö-Dur“ schwelgt, ,,Melancholie mit Flinserln“ auskostet oder sehr unbequem Kritisches zu Krieg, Vertreibung, Fremden haß und Unmenschlichkeit sagt es ist stets „die Ott“, der man gern folgt. Sie tut so, als wäre sie eine ganz und gar unkomplizierte Person. Wenn man die Frau Prinzipalin im Hof der Burg Liechtenstein in Maria Enzersdorf, auf dem Bretterboden sitzend, trifft, um mit ihr über ihre nächste Sommertheater-Inszenierung zu reden, ist sie garantiert von einer Schar junger Leute umringt. Sie ist für alle da. Den Jungen klarzumachen, was hinter einem Rollentext steckt, ist heute fast schon ihr wichtigstes Anliegen. Eine große Schauspielerin hat es sich zur Aufgabe gemacht, all das, womit sie seit Jahrzehnten ihr Publikum zu glücklichen Momenten verführt, bangen läßt, bezaubert, zuerst einmal ihren Schauspielschülern am Konservatorium der Stadt Wien weiterzugeben. Und dann: Die Begabtesten ihrer Schüler in ihrem romantischen niederösterreichischen „Burg-Theater“ auf Liechtenstein vorzustellen. Ist es zu viel gesagt, daß die Ott, eine Prinzipalin, besessen von heroischer Leidenschaft, Theater zu machen und stets ,,alles zu geben“, Niederösterreich ein Juwel geschenkt hat? Ich glaube nicht. Denn in den fünfzehn Jahren des Bestehens dieser Nestroy-Spiele in Maria Enzersdorf hat sie sich ihre Welt geschaffen. Einen Nestroy-Kosmos, in dem nicht irgendwelche Wanderregisseure und Wanderschauspieler mehr oder weniger gelungene Produktionen abliefern und weiterziehen. Nein, das hätte sie nicht interessiert. Sie wollte Eigenes, unverwechselbar Österreichisches, Lokalkolorit in Wort und Bild, in Sprache und Musik und in den spritzigen Couplets. So hat sie zuerst mit ihrem großen „Animateur“ Hans Weigel ihre fast schon legendären „Maria Enzersdorfer Fassungen“ der Nestroy-Possen geschaffen; und nach seinem Tod arbeitete sie mit Freunden wie Lore Krainer, Gerhard Bronner, dem jungen Musiker Sergei Dreznin und vielen anderen weiter. Sie hat ihren Nestroy-Stil durchgesetzt. Jahr für Jahr hauchen nun ihre „Nestroyaner“ den Possenfiguren auf der bunten Holzpawlatschen Leben ein. ,,Diese Arbeit ist der wichtigste Teil meines Lebens geworden“, sagt sie selbst nicht ohne Rührung. Sie hat in ihrem Leben unendlich viel gearbeitet, angeregt, auf die Bretter gestellt. Eine Schauspielerin mit Freude an der Fröhliehkeit, hinter der sie feine Melancholie, Tiefe und mitunter bitteren Ernst verbirgt. Denn sie hat in ihrem Leben ihre Arbeit stets sehr, sehr ernst genommen. Und sie zählt zur Spezies jener Künstler, die glücklich sind, wenn sie gebraucht werden. Sie hat viele Ehrungen empfangen: Von der Kainz-Medaille bis zur Goldenen Kamera und dem Professor-Titel. Nun erhält sie den Kulturpreis des Landes Niederösterreich. Selbstverständlich als Dank für ihre Kunst, mit der sie ihr Publikum bezaubert, vor allem aber auch als Dank für ihre Unermüdlichkeit, wenn es um Nestroy ging, um Sommertheater, um die Erziehung und den Einsatz junger Schauspieler, um das jahrelange Ringen um die Spielstätte Maria Enzersdorf. Niederösterreich dankt Elfriede Ott dafür, was sie in der Kulturszene Jahr für Jahr bewegt.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1997