Alles kann Musik sein
Elisabeth Schimana, geboren 1958 in Innsbruck, lebt in Hainburg und hat einen wesentlichen Teil ihrer Arbeit für das Land Niederösterreich gemacht. Ihr nächstes Projekt ist die Mitarbeit an einem Musikkunstprojekt zur Eröffnung eines U3 Teilstückes Anfang Dezember in Wien.
„Meine kompositorische Entwicklung ging kontinuierlich, ohne Aha-Erlebnisse. Ich begann meine Studien sofort mit elektronischer Musik; abgesehen vom Lehrgang für elektronische Musik an der Hochschule für Musik habe ich keine akademische Ausbildung. Ich hatte weniger akademische Kategorien zu überwinden, weniger Belastungen abzustreifen andererseits musste ich mir mein handwerkliches Know-how selbst erarbeiten. Wobei dieses Handwerk ein immer anderes ist. Unterschiedliche Prinzipien und Einflüsse kommen aus Anregungen vom Besuch des Lehrgangs für harmonikale Grundlagenforschung, einem Musikwissenschaftsstudium und einem Ethnologiestudium an der Universität Wien.
Eine meiner Erfahrungen ist: Musik ist nicht gleich Tonsatz. Ich kann mir viel mehr, ja, alle Strukturen bauen, die ich will. Alles kann Musiksein – der vorbeifahrende Zug und eine Beethoven-Symphonie.
Faszinierend war für mich von Anfang an der Kontrapunkt: die Gleichwertigkeit mehrerer parallel geführter Stimmen. Andere Materialien sind die Stille, sind Klangflächen, Serialität, sind ,akustische Expeditionen“ – konkrete Klänge, damals aufgenommen für eine ORF-Sendereihe. „Physical Modelling“ heißt Klänge-bauen am Computer: ich bestimme: wie lange ist die Saite, wie dick, wo zupfe ich sie an. Der Computer zeigt mir eine Ansicht des Klanges- aber der Computer macht nicht Musik. Alles, was ich am Computer erzeuge-digitale Signale, also Kolonnen von Zahlen- muss danach wieder in analoge Signale umgewandelt werden. Würde ich die Zahlen über eine Videokarte ausgeben, bekomme ich Bild. Im Computer zu komponieren heißt, sich nicht mehr im akustischen Raum zu bewegen. Der Computer ist die totale Aufhebung von Bild, Text und Klanges sind nur Zahlenkolonnen.
Bei meinem Projekt „Berührungen“, das nach der Aufführung in der Kremser Minoritenkirche auch auf CD erschienen ist, wurde mir einmal mehr bewusst, dass es keine „besseren“ und „schöneren“ Intervalle gibt, es gibt nur Intervalle, die uns vertrauter sind. Tatsächlich aber gibt es nur ein Kontinuum- in der Dynamik von laut zu leise, in der Tonhöhe, in der Qualität vom Ton zum Geräusch.
Als ich zu komponieren anfing, fand gerade der Sprung von der analogen zur digitalen Technologie statt. Die Entwicklung geht so rasant, man muss ständig daran weiter lernen. Dabei beobachte ich eine Erscheinung unserer Zeit: kein System wird voll ausgeschöpft, bis es wirklich in allen Facetten bekannt ist – denn das nächste System ist schon am Markt. Ich lerne projektbezogen und autodidaktisch. Eine dieser wertvollen Lernerfahrungen war ein Workshop mit einer der wenigen Komponistinnen der elektronischen Szene in der Kunsthalle Krems: mit Maryanne Amacher.
Ich beobachte, es gibt in meinem Metier die institutionalisierten Komponisten und die Free lancer-ich gehöre gern zu Letzteren. Mir scheint die institutionalisierte elektronische Musik fest in männlichen Händen. Wie für ein paar andere freie Komponisten ist das „Kunstradio“ auf Ö1, jeweils donnerstags nach 22 Uhr, eine meiner Heimaten. „Kunstradio“ ist vielfach inspiriert von der bildenden Kunst – der Name „Kunst“ und nicht „Musik“ zeigt das schon an.
Im Kunstradio-Bereich gibt’s „E“ und „U“ nicht, die experimentelle Elektronik-Szene und der akademische elektroakustische Bereich arbeiten zusammen. Manchmal scheint mir das Publikum und die Organisatoren der bildenden Kunst moderner, für andere Künste aufgeschlossener. Nicht zuletzt gingen auch von Kunstfachleuten hier in der Landesregierung viele Impulse aus: Dr. Zawrel zum Beispiel.
Bei meinem letzten Projekt, wieder veranstaltet von der Kunsthalle Krems, haben dreizehn Leute zusammengearbeitet: Elektronikfreaks aus dem freien und dem akademischen Bereich und einige russische Theremin-Spielerinnen, die klassische und romantische Musik auf dem Theremin spielen und die dieses elektronische Instrument als Ersatz für die menschliche Stimme verwenden-also gänzlich ohne das Bewusstsein eines elektronischen Instruments. Das Projekt hieß „Touchless“- das wundersame elektronische Instrument aus dem Russland der 20er Jahre wird ja auch nicht berührt.
Für meine Arbeit habe ich technische Mitarbeiter- wie man an meinen CD-Produktionen sieht, sehr oft ORF-Techniker. Aber hatten nicht auch früher alle Komponisten Assistenten? Hat nicht Gershwin seine „Rhapsodie in Blue“ orchestrieren lassen, ganz zu schweigen von Johann Strauß?
Ich lasse mich gern inspirieren von der Technik, ich sitze gern allein an meinen Maschinen und probiere aus. Ich will trotz meiner Erfahrungen immer eine experimentelle Komponistin sein. Ich liebe es, auch manchmal die „Bastelarbeit“ zu delegieren und mir Strukturen auszudenken. Genauso habe ich schon selbst Instrumente gebaut, einmal ein Monochord, zuletzt für ein Auftragswerk der ORF-Musikprotokolle elektronische Instrumente.
Es wird wohl in der nahen Zukunft selbstverständlich sein, die Techniker als kreative Menschen einzubeziehen. Die Unterscheidung zwischen Komponist und Techniker scheint mir mehr und mehr degradierend für letztere zu sein, in der Popmusik bestehen die Techniker schon längst darauf, als Sounddesigner genannt zu werden. Sie machen also das Ausschlaggebende.
Bei meinen Musikproduktionen hat mein Publikum die Wahl, aufzustehen und wegzugehen, schon als Kind hat mich die traditionelle Aufführungspraxis eines Konzerts mit seinen feststehenden Ritualen eingeengt. Mein Publikum ist oft sehr jung, ich arbeite viel in der Vermittlung – bin die niederösterreichische Zuständige für das Projekt Klangnetze, ich bin stolz, einige Projekte angeregt zu haben.“