Erich Fitzbauer

Literatur

Beschleuniger eines Läuterungsprozesses

Unter den vielen Verletzungen, die uns Leben und Welt beibringen, entzieht sich die Wunde der Sehnsucht jeder Chirurgie. Mag sie sich auch nur ganz unscheinbar bemerkbar machen, gelingt es doch niemals, diese Amfortaswunde mit irdischen Mitteln auszuheilen. Auch Erich Fitzbauer ist ein von der Sehnsucht Gezeichneter. Sehnsucht wonach? Das Ziel solcher oft radialer Gefühlswellen läßt sich viel schwerer in Begriffe fassen als deren Ursprung, wo sie sich aus der Tiefe andrängend unablässig sammeln und aufstauen. Nehmen wir aus diesem Quellbecken einiges heraus, wie es sich gerade beim Durchblättern von Erich Fitzbauers Büchern ergibt: „Die kräftigen Beine sind eins vor das andere gestellt, doch markiert diese Haltung des Jünglings kein Gehen. Eher ists ein Verwurzeltsein, gleich einem Baum mit doppeltem Stamm.“ … ein Platz, wie wir ihn lieben. Abseitigkeit mit dem Singen von Brandung und Wind unterm heißen Atem des Himmels.“ ,,Irgendwo zwischen gestern und morgen bauen helfen an anderen Welten, wo Menschen wieder einander die Hände reichen.“ … durstig nach Frühtau, Schneelicht und Mond.“ Solche Zitate ließen sich zu einer Gebetskette aneinander reihen. Nicht auf Erfüllung ichsüchtiger Wünsche zielen ihre Anrufe, sondern auf Anerkennung der Sehnsucht in ihrer Leitbildfunktion, vergleichbar den Sternen, die, obschon unerreichbar, doch zur Orientierungshilfe in extremer Lage werden können. Denn alle durch schmerzliche Sehnsucht Verletzten und Verletzbaren stehen in einem gewichtigeren Auftrag als die Unverletzlichen, sei es, daß sie aus Drachenblut als siegesgewisse Helden oder aus der Ursuhle der Dummheit als pflichtbewußte Schlächter hervorgegangen sind. Seit Europas Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist das drängende Verlangen nach dem Einklang von Natur und Kultur, von Zugeständnis an die Kreatürlichkeit des Menschen und der Forderung, das Naturgegebene in unsere autochthone Vorstellungswelt womöglich gleitend und bruchlos einzugliedern, niemals mehr erloschen. Ästhetische, religiöse und soziale Utopien leuchten immer wieder auf, in der Blauen Blume, in Orplid, in den ,,Rittern vom Geist“. „Einst wußten alle drum,“ sagt Hofmannsthal. Nach diesem Urwissen trachtend, sieht sich Erich Fitzbauer im Aufblick satt“. Von ähnlicher Verheißung gelockt und getrieben mögen andere die archaisch aufgerauhten Symbole, die stampfenden Rhythmen und magischen Praktiken aus dem Unterbau der Weltkulturen jetzt wieder zu heben versuchen. Erich Fitzbauer macht Halt, wo Europa beginnt: Tempel, Koren, Epheben, Zikaden, Eulen im Baum. Laß uns dann nochmals erleben nachts dies alles im Traum. Nicht bloß im Traum, mit sehr wachen und kritischen Sinnen erlebt Fitzbauer die Geschichte der Kulturen, innerhalb derer dem Buch eine besondere Rolle zufällt. Für Fitzbauer ist das Buch nicht wie für die Mehrzahl der Autoren im Zeitalter des Rotationsdruckes ein Unterschlupf, ein Notstandsquartier des Geistes. Ihm ist es nach wie vor ein Hausschrein, wo sich eine trinitäre Einheit von Wort, Bild und Letter einfindet. Erst das vollkommene Buch als Buch-Kunstwerk bietet den Lesestoff in der adäquaten Form. Nur so wird aus einem Magazin von Buchstaben, einer Drucksache, einem Druckwerk der gleichsam leibhaftige Repräsentant des Geistigen. Solche vollkommenen Bücher zu schaffen und herauszugeben, ist Erich Fitzbauer gelungen. Wie ist das in einer Zeit möglich, da man das kulinarische Buch mit dem stilvollen und schönen verwechselt? Außer Arbeitskraft und Zielstrebigkeit sind dazu noch andere Rahmenbedingungen notwendig, die sich bei Erich Fitzbauer eingefunden haben. Der stud. phil. und spätere mag. art. wurde Buchhändlerlehrling und schloß seine Lehre mit der Gesellenprüfung ab. Dazu kommt noch sein manuell-künstlerisches Geschick, das in der Produktion, vom händischen Abdruck der Holzschnitte bis zur Feinausfertigung, überall anzupacken versteht. Aber all das hätte vielleicht noch nicht ausgereicht ohne die besondere Charaktereigenschaft des Künstlers Erich Fitzbauer, nämlich anderen Künstlern mit Einfühlungskraft, Takt und Respekt vor ihrer Eigenständigkeit zu begegnen. So bildete sich ein Kreis bedeutender Graphiker, mit deren Mitarbeit der Dichter rechnen konnte. Von ihnen sei hier nur der österreichische Doyen der Graphik, Professor Hans Fronius, genannt, mit dem Erich Fitzbauer eine 30jährige Freundschaft verbindet. Sie dokumentiert sich in einer Reihe eindrucksvoller Bücher. Aus solcher weitgespannten Empfänglichkeit entfaltet sich eine das Leben „in den stillen Gehöften der Sterne“ preisende Lyrik. Aber gerade deshalb gehört es zum Charakter dieses Dichters, für den Geborgenheit und Selbstbescheidung unlösbar verknüpft sind, sich aufzubäumen und aufzubegehren, wo der Mensch in seinem Dünkel gegen beide sündigt. Aus Liebe, Haß und Verzweiflung formen sich meine Gedichte. So bekennt ja auch Tasso (IV. Akt. 2. Szene. Vers 160), daß Haß den schöpferischen Impuls in ihm steigert. Bei Erich Fitzbauer sublimiert er sich oft in Satire, Witz und schwarzem Humor. Freilich, nach Tschernobyl wiederholt sich wie nach Auschwitz die Frage, ob und wie jetzt noch Lyrik möglich sei. Klipp und klar sagt Erich Fitzbauer in seiner Strahlenfuge, woran wir jetzt mit unseren 364 Atomkraftwerken sind: Die Zündschnüre brennen. Entscheidend ist nicht ein ästhetisches oder wie immer spekulatives Gerede, sondern einzig die Zahl: wie oft am Tag jeder von uns, für sich, bedenkt (vielleicht sich dabei auch ein wenig schämt), daß er von Tellern ißt, im Auto fährt, Bilder ansieht, Musik hört …Gegenüber den lauernden Schrecknissen leistet sich Fitzbauer keine ästhetische Lokalanästhesie und mutet sie auch seinem Leser nicht mehr zu, denn „der dritte Weltkrieg hat schon begonnen, und die Leute merken es nicht.“ (Oskar Kokoschka, 1974). Erich Fitzbauer gehört zu den wenigen, die an den schon seit Jahrzehnten in vollem Gange dröhnenden Schlachtfeldern niemals vorbeigesehen haben. Ob im heilig mysterienverklärten Eleusis mit seinen Zementdrehrohröfen, wo .,der Atem der Götter von heute als Rauch aus den Schloten steigt“, oder in der Heimat, wo vergiftete Saaten grünen. Ist doch in die Lebensgabe des Brotes ein Keim des globalen Todes geschmuggelt worden, seitdem durch die Art und Masse der Produktion die millionenjahre alten Gleichgewichte der Erde ins Schwanken gekommen sind. Erich Fitzbauer gehört nicht zu jenen, welche die Sensibilisierung des Gewissens und die daraus folgenden Aktionen auf den Staat und dessen Institutionen abschieben. „Der Auftrag“, wie seine Meistererzählung heißt, besteht jetzt ebenso wie vor Jahrtausenden in Delphi in der Selbsterkenntnis. Und wie im Mythos die unglückselige Karambolage der beiden Pferdegespanne von Laios, dem König von Theben, und von Ödipus die Tragödie ins Rollen bringt, so ist es auch hier ein Verkehrsunfall, bei dem ein Kind überfahren wird. Durch dessen Tod werden die Unzulänglichkeiten in allen an dem Unglück beteiligten Existenzen, dem Vater, der Mutter, dem Autofahrer und dessen Freundin offenkundig und zerstörerisch virulent. Wie im privaten so ist auch im öffentlichen Leben die Selbstüberwindung unerläßlich. Nur dann entrönne die Natur dem Raubbaugeschäft und der Mensch der inneren Aushöhlung. Wann aber wird das sein? Erich Fitzbauer will diesen Läuterungsprozeß beschleunigen. Wie gering man auch die wirklichkeitskorrigierende Bedeutung von Dichtung veranschlagen mag, in unserer Lage darf man auf keine Chance verzichten, insbesondere dann nicht, wenn sich wie in Erich Fitzbauers Werken Weltblick und Sehnsucht vereinigen.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1987