Was eines jeden Frage ist
„ln zunehmendem Maße wird von der Erwachsenenbildung erwartet, dass sie als beweglicher, aber verlässlicher Ort in dieser offenen umbrechenden Gesellschaft nicht nur Information und Orientierung bietet, Lernchancen eröffnet, sondern jene sozialen Netze zur Verfügung stellt, die dem einzelnen Begegnung und Gespräche, ja sogar Heimat und Geborgenheit ermöglichen.“ Diese programmatischen Sätze schrieb Dr. Erika Schuster 1998 in der Festschrift für Leo Prüller, den langjährigen Chef des St. Pöltner Bildungshauses St. Hippolyt. Sie beschrieb damit nicht nur den Anspruch, dem sie sich selbst verpflichtet fühlt, sondern bezeichnete auch eine der niederösterreichischen Städte, die bis heute zu ihren Lebens- und Wirkungsorten zählen. Die Kremserin absolvierte die Lehrerinnenbildungsanstalt der Englischen Fräulein (IBMV), studierte Germanistik und Geschichte in Wien, promovierte 1964 zurDoktorin der Philosophie, erwarb das Lehramt fürAllgemeinbildende Höhere Schulen und die Lehrbefähigung für Volksschulen. 22 Jahre unterrichtete sie an der Fachschule für wirtschaftliche Frauenberufe, am Musisch-pädagogischen Realgymnasium und am Oberstufenrealgymnasium des IBMV in Krems und nahm Lehraufträge an der Pädagogischen Akademie in Krems wahr. Aber der erfolgreichen Professorin war die Schule nicht genug. Zwanzig Jahre, von 1970 bis 1990, war sie Leiterin des Katholischen Bildungswerks dreier Kremser Pfarren, von 1975 bis 1981 Vorsitzende des KatholischenAkademikerverbandes der Diözese St. Pölten, seit 1995 präsidiert sie den Trägerverein des ,,Instituts Simone Weil“ in Marktheidenfeld bei Würzburg; und das sind nur einige ihrer ehrenamtlichen Engagements. Immer stärker trat die Auseinandersetzung mit Erwachsenen in den Vordergrund, bis sie 1976 ins Präsidium der Bundesarbeitsgemeinschaft für Katholische Erwachsenenbildung (BAKEB) eintrat, um schließlich von 1979 bis 1988 die BAKEB als Präsidentin zu leiten. Unterdessen hatte sie den Schuldienst aufgegeben, um sich ganz der Erwachsenenbildung zu widmen. 1985 übernahm sie von Dr. Margarete Schmid, der Gründerin der Theologischen Kurse für Laien und der Arbeitsgemeinschaft ,,Buch und Schrifttum“ die Literaturarbeit, gab dieser den neuen Namen ,,Literarisches Forum der Katholischen Aktion“ und wurde zur täglichen Pendlerin von Krems nach Wien. Als Leiterin dieses ,,Literarischen Forums“ ist Dr. Erika Schuster (Jahrgang 1940) nach fünfzehn Jahren mit 1. September 2000 in den Ruhestand getreten. In dieser Position in einer einzigartigen Institution literarischer Erwachsenenbildungsarbeit sind ihr Initiativen gelungen, die ihrem eigenen Anspruch gemäß über Information und Orientierung hinaus Netze der Begegnung und des Gesprächs geschaffen haben. Dr. Erika Schuster ging nicht unvorbereitet in diese Arbeit, sondern unterzog sich selbst einer Reihe internationaler Ausbildungsvorgänge, u.a. dem Kontaktstudium für Ausbildungsleiter in der Erwachsenenbildung in Freiburg i. Br. und der dreijährigen Diplomausbildung tiefenpsychologisch fundierter themenzentrierter Interaktion in Würzburg. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand und steht aber die Auseinandersetzung mit der Literatur, insbesondere mit jener der Gegenwart und ihrer Erschließung für Zeitdiagnose und Sinnsuche. Um dies zu erreichen, machte Dr. Erika Schuster den Wandlungsprozess der Erwachsenenbildung in den letzten Jahrzehnten nicht nur mit, sondern trieb ihn an führender Stelle selbst voran. Nicht mehr Frontalunterricht und autoritative Weitergabe von Wissen sind heute gefragt, sondern die ,,Selbststeuerung von Lernprozessen“, eine „Ermöglichungsdidaktik“ zum ,,Zweckeinerbesseren Lebensbewältigung“. Die Lehrendenwerden BegleiterInnen, um gemeinsam mit den Lernenden herauszufinden, ,,was eines jeden Frage ist“. Als Ausbildungsleiterin, Trainerin und in der Mitarbeiterqualifizierung ist Dr. Schuster selbst eine Promotorin modernster Formen der Erwachsenenbildung. Unter ihrer Leitung wurde das ,,Literarische Forum“ personell undkompetenzmäßig ausgebaut. Der ,,Fernkurs für Literatur“ erfuhr eine völlige didaktische Neukonzeption und genießt heute durch die Kooperation mit dem deutschen Borromäusverein internationale Reputation. Die traditionsreiche Besprechungszeitschrift „Die Zeit im Buch“ wurde mehrfach umgestaltet und 1999 nach 53 Jahrgängen von einem völlig neuen Entwurf abgelöst: Mit dem Vierteljahresperiodikum ,,SCHRIFT/zeichen“ ist derzeit im deutschen Sprachraum die einzige Zeitschrift aufdem Markt, die den Grenzbereich zwischen Literatur und Religion bearbeitet. Eine Reihe von Modellen der Literaturvermittlung wurden entwickelt, um tatsächlich dem nahezukommen, ,,was eines jeden Frage ist“: Schreibseminare zu verschiedenen lebensrelevanten Themen, Lese- und Schreibtherapie, Literarische Reisen, Begegnungen mit Autoren und Autorinnen – um nur einige der Initiativen zu nennen. In den letzten Jahren erweiterte sich das Themenfeld um Querverbindungen zur bildenden Kunst und zur Musik, zumal gerade Musik für Dr. Erika Schuster persönlich eine lebensbegleitende Ausdrucksform darstellt. Das ,,Literarische Forum“ ist unter Dr. Schusters Händen selbst zu einem Modell einer Erwachsenenbildung ,,als beweglicher, aber verlässlicher Ort“ geworden, ein Ort der Beheimatung für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen. ,,Ich wollt‘, dass ich daheime wär““ heißt nicht umsonst eines ihrer Bücher, das im Verlag des Niederösterreichischen Pressehauses erschienen ist. Das von ihr ausgearbeitete Selbstverständnis des ,,Literarischen Forums“ kreist um die Stichworte Orientierung, Begegnung, Vermittlung, Einmischung und Beratung. Im Zentrum steht die Begegnung im Gespräch. ,,Das Gespräch“, heißt es da, ,,findet jeweils ,auf gleicher Augenhöhe‘ statt, um Schwellenangst gar nicht aufkommen zu lassen. Jede Leseerfahrung wird ernst genommen, ob sie von notorischen Bücherwürmern oder von Menschen stammt, die ihre ersten Schritte in die Welt derWorte, Sätze, Texte und Bücher tun.“