Ferdinand Weiss

Musik

Dank Beethoven „spätberufen“

Die Laudatio für den diesjährigen Kulturpreisträger für Musik beginnt insofern vollkommen atypisch, da weder von einer früherkannten Musikalität noch von ersten Auftritten als Wunderkind berichtet werden kann. Ferdinand Weiss ist in musicis rebus ein wie er sich selbst bezeichnet Spätberufener. Am 6. 6. 1933 in Wien geboren, ist er dank einer Vorfahrenreihe, die sich bis 1623 im Weinviertel ausschließlich dem Bauernstand angehörend verfolgen läßt, ein waschechter Niederösterreicher. Er wuchs in der Atmosphäre eines Gasthauses auf, wo sein tägliches musikalisches Brot die gängigen Schlager (Zarah Leander oder Lale Andersson pfiff er bereits als kleiner Knabe) und Operettenmelodien waren, er aber mit den Werken der ,,Ernsten Musik“ nicht in Kontakt kam. Wie Weiss selbst zu erzählen weiß, war das Schlüsselerlebnis, das sein Leben bestimmen sollte, ungefähr um sein 16. Lebensjahr, als er durch einen Zufall die 5. Sinfonie Ludwig van Beethovens hörte. Durch dieses musikalische Erlebnis sah er plötzlich seine Bestimmung vorgezeichnet. Nachdem er bereits in früheren Jahren eher lustlos erste Versuche auf dem Akkordeon hinter sich gebracht hatte, begann er sich nun wie besessen, allerdings mit mehr oder weniger schlechten Lehrern, dem Klavier zu widmen. Nach Abschluß der Mittelschulmatura im Jahre 1951 meldete er sich an der Wiener Musikhochschule zur Aufnahmsprüfung, die er mangels entsprechender Fähigkeiten am Klavier auch prompt nicht bestand. Nachdem er zwischenzeitlich an der Universität Wien das Studium der Geschichte und Musikwissenschaft begonnen hatte, gelang ihm beim vierten Anlauf endlich die Aufnahmsprüfung in die Musikhochschule zu bestehen, wobei er nicht ganz die Studienrichtung einschlagen konnte, die ihm vorschwebte. Er hatte wieder eher glücklos seine Klavierkenntnisse dargeboten, aber auch erste Kompositionen zu dieser Prüfung mitgebracht. Der damalige Klavierpapst der Hochschule, Prof. Dr. Dichler, ließ sich eine Eigenkomposition vorspielen und empfahl ihm, doch sein Glück bei der Aufnahmsprüfung für Komposition zu probieren. Dies gelang, und Weiss kam so in die Kompositionsklasse Prof. Otto Siegl. Binnen kürzester Zeit war er Siegls erklärter Lieblingsschüler und wurde von dem verehrten Lehrer öffentlich als ,,sein bestes Pferd im Stall“ bezeichnet. Er konnte dank seiner Studienerfolge ein Studienjahr überspringen und erhielt für seine ausgezeichnete Diplomprüfung einen Abgangspreis.
Erst mit 21 Jahren belegte Weiss ein Instrumentalfach, wobei er sich nach langem Entscheidungskampf zwischen Oboe und Flöte für letztere entschied. Auch diese Konzertstudien schloß Weiss mit einer preisgekrönten Diplomprüfung im Jahr 1961 ab, nachdem er im Jahr zuvor die Dirigierklasse Prof. Hans Swarowsky mit einer ausgezeichneten Diplomprüfung absolviert hatte.
Während seiner Studienzeit begann Ferdinand Weiss einen Werkkatalog, in dem er allerdings seine frühen, etwa 30 Kompositionen nicht aufnahm. Dennoch umfaßt der Werkkatalog heute rund 175 opera. Bereits sein erster Versuch, als Komponist an die Öffentlichkeit zu treten, kam einem Paukenschlag gleich. Im Jahr 1957 reichte er sein erstes Streichquartett für den Österreichischen Streichquartettwettbewerb in Eisenstadt ein und wurde mit dem ersten Preis ausgezeichnet, sodaß die erste öffentliche Aufführung eines seiner Werke bereits ein Preisträgerkonzert wurde. Ein Stipendium der Akademie der Wissenschaften führte Weiss in den Jahren 1962/63 zu Kompositionsstudien an das Österreichische Kulturinstitut in Rom. Aus materiellen Gründen ging Weiss im Jahr 1967 je eine halbe Lehrverpflichtung am Konservatorium der Stadt Wien (Flöte, musikalische Vorbereitung für Kinder, Theorie) und an der Musikschule Schwechat (Klavier) ein. Als Weiss im Jahr 1970 die Anstellung an der Pädagogischen Akademie in Baden gelang, beendete er seine Tätigkeit an der Musikschule Schwechat, und mit zunehmender hauptberuflicher Tätigkeit in Baden kündigte er auch 1975 den Vertrag mit dem Konservatorium der Stadt Wien. In die Jahre seiner Lehrtätigkeit in Wien und Schwechat fallen seine ersten Kompositionen für Schüler, die er auch selbst einstudierte, wodurch er große Erfahrungen didaktischer Natur erarbeiten konnte.
Obwohl Ferdinand Weiss hauptamtlich als Professor an der Pädagogischen Akademie in Baden tätig ist, sieht er seinen eigentlichen Beruf in seiner kompositorischen Arbeit. Seine Werkliste umfaßt neben drei Sinfonien und Solokonzerten für Flöte, Oboe, Klarinette, Trompete und Posaune, Werke für Kammerorchester und vor allem Kammermusik für diverseste Besetzungen von Duo bis zum Nonett. Wie Weiss selbst zu erzählen weiß, entstehen die meisten Kammermusikwerke auf Grund von Anregungen aus seinem großen musikalischen Freundes- und Bekanntenkreis. Besonders zu nennen wären hier die Professoren Stierhof und Weinhengst von den Wiener Philharmonikern und die künstlerische Leiterin des Badener Blockflötenensembles. Besonders letzterer Freundschaft entsprang eine fruchtbare künstlerische Wechselbeziehung, indem Weiss für das Badener Blockflötenensemble mehrere Werke komponierte, die von diesem in mustergültiger Weise uraufgeführt wurden, womit das Ensemble zahlreiche Interpretationspreise bei Landes- und Bundeswettbewerben erringen konnte. Die Werke Ferdinand Weiss‘ erklangen bisher in annähernd 300 Konzertveranstaltungen bzw. Rundfunksendungen, dennoch klagt der Komponist, daß der größere Teil seines Schaffens, darunter die seiner Meinung nach besten und wichtigsten Werke, noch ungehört in der Schreibtischlade ruht. Auch gedruckt erschien bis jetzt fast keines seiner Werke und wenn, dann die weniger wichtigen Stücke.
Seit dem ersten Preis im Österreichischen Streichquartettwettbewerb in Eisenstadt 1957 wurden Ferdinand Weiss zahlreiche Auszeichnungen zuteil, von denen nur 1960 der Förderungspreis der Stadt Wien, 1970 der Förderungspreis des Landes Niederösterreich, 1971 der Kulturpreis der Stadt Baden und 1972 der Staatliche Förderungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst genannt seien. Möge der nun zur Verleihung gelangende Kulturpreis des Landes Niederösterreich für Musik 1984 eine Initialzündung sein, daß einerseits der in Ferdinand Weiss‘ Schreibtischlade schlummernde Schatz einer breiten Öffentlichkeit endlich zu Ohren kommen möge und andererseits in- und ausländische Verleger auf diesen „Spätberufenen“ aufmerksam werden!

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1984