Lebensbegleitendes Lernen
Der Fachbeirat, der den Vorschlag für die Verleihung des Franz-Stangler-Preises erstattete, hebt bei Franz Wiesenhafer hervor, dass der Preis damit an einen Autodidakten vergeben wird, dessen persönliche Entwicklung ein gutes Beispiel für lebensbegleitendes Lernen ist. Franz Wiesenhafer, geb. am 22. 1. 1959 in Purgstall an der Erlauf, ist niederösterreichischer Landesbeamter und bei der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs beschäftigt. Die im Zusammenhang mit einer anderen Arbeit gefundenen Hinweise auf die Existenz eines Kriegsgefangenenlagers in Purgstall während des I. Weltkrieges führten zu umfangreichen Quellenstudien. Ergebnis dieser Durchsicht war das 1997 erschienene Buch „Gefangen unter Habsburgs Krone. K.u.k. Kriegsgefangenenlager im Erlauftal“. Es schildert die Schwierigkeiten der Errichtung, Organisation und Führung der Kriegsgefangenenlager in Wieselburg und Purgstall und der Offiziersstationen in Mühling, Puchenstuben, Wienerbruck und Winterbach bis zu deren Auflösung ab dem November 1918. Es werden die Lebensverhältnisse der russischen und italienischen Kriegsgefangenen in den Lagern einschließlich der zunehmend unzureichenderen Verpflegung, die Situation der ungarischen und slowakischen Wachmannschaften, die Reaktionen der Bevölkerung auf die Existenz der Kriegsgefangenenlager und die Gefangenenbetreuung durch Amerikaner, Schweizer bzw. Schweden ab 1916 dargestellt. Viele Abbildungen vermitteln optische Eindrücke der Lagersituation.
Seit Mai 1916 zählte auch Egon Schiele zur österreichischen Mannschaft der Offiziersstation in Mühling, wo er der „Proviantur“ zugewiesen war, bis er im Jänner 1917 über eigenen Wunsch nach Wien abkommandiert wurde. Neben anderen Arbeiten entstand hier das jetzt im Eigentum des NÖ Landesmuseums stehende Bild einer „zerfallenden Mühle“, der Bergmühle in Unterberg bei Purgstall. Egon Schieles Kriegstagebuch und die Briefe seiner, außerhalb des Lagers wohnenden Frau sind vor allem ein Spiegel der Befindlichkeit des Künstlers, und nur wenige Seitenblicke widmeten sich auch den Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen.
Der Fachbeirat würdigte mit seinem Vorschlag neben einer Heimatgeschichte unkonventioneller Art auch das persönliche Engagement des Preisträgers im Einsatz verschiedenster Medien (Ausstellung, CD-ROM, Filme, regionaler Themenweg und persönliche Kontakte) zur Vermittlung seiner Erkenntnisse an eine größere Öffentlichkeit. Der Leser des Buches wünscht sich eine Ergänzung über die Erfahrungen der Gefangenen, ist sich aber gleichzeitig bewusst, dass die Beschaffung dieser Quellen nicht einfach sein wird.