An der, mit der und durch die Sprache
Friederike Mayröcker ist eine Dichterin, die seit mehr als sieben Jahrzehnten an der sprache, mit der Sprache und durch die Sprache arbeitet. In ihrem Werk, das niemals an Aktualität verliert, erfindet und entdeckt sie in jedem Augenblick was Neues, wird sie in jedem ihrer frühmorgendlichen Schreibmomente von neuen Wortfindungen, Formulierungen, Sätzen und Syntagmen entdeckt.
Im Jahr 2005 konnte Marcel Beyer, Literaturwissenschafter und selbst ein bedeutender Autor der jüngeren Generation, beim Suhrkamp Verlag eine Sammlung von Mayröcker-Gedichten herausgeben, die im Jahr 1939 einsetzt, Arbeiten bis 2003 enthält und den schlichten Titel »Gesammelte Gedichte« trägt .
Geboren am 20. Dezember 1924 in Wien, daselbst aufgewachsen, verbrachte Mayröcker die ersten Sommer ihrer Kindheit in Deinzendorf, einem kleinen Ort im westlichen Weinviertel, in der Nähe der Städte Retz und Pulkau. Der Vierkanthof ihrer Großeltern war in den ersten zehn, elf Jahren ihr Sommerparadies, geborgen und frei zugleich erlebte sie auf intensivste Weise Natur und Dorf: »(…) aber damals auf silbernen Schienen der Horizont damals als da war dieses Birkenfest dieses welkende Birkenfest über den Fluren Fronleichnam über den grünenden Fluren wogenden Fluren und ich ein Kind war unwissend / gesalbt (…)«,
So steht es in ihrem großen Gedicht »Deinzendorf / grüne Montage oder wo habe ich diese weißen Augen schon mal gesehen«; Erinnerungen an dieses verlorene, 1935 im zuge der allgemeinen Wirtschaftskrise auch real ihrer Familie verlorengegangene Paradies werden in ihrem Werk immer wieder erscheinen. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang das schöne Buch, das 1992 in der Bibliothek der Provinz in Weitra gedruckt wurde: »Blumenwerk: ländliches Journal, Deinzendorf«.
Bereits 1946 konnten in der damals bedeutendsten Literaturzeitschrift der unmittelbaren Nachkriegszeit, dem »Plan« otto basils, erste Gedichte erscheinen, dennoch dauerte es noch zwanzig Jahre intensiven Schreibens, bis ihr im Jahr 1966 mit »Tod durch Musen. Poetische Texte« im Rowohlt Verlag der Durchbruch gelang.
Seither gehört Friederike Mayröcker zu den wichtigsten und produktivsten Dichterinnen des deutschen Sprachraums.
Bis heute erscheint jedes Jahr mindestens ein neues Buch, entweder ein Roman, lyrische Prosa, poetische Journale oder Gedichtsammlungen, Hörspiele werden laufend produziert, und Würdigungen, Preise sowie Ehrenzeichen werden ihr zugesprochen.
Um nur einige der vielen Anerkennungen ihres großen und andauernden Schaffens zu nennen: 1975 der Österreichische Würdigungspreis für Literatur, 1982 der Große Österreichische Staatspreis, 1985 die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold, 1993 der Friedrich-Hölderlin-Preis, 2001 der bedeutendste deutsche Literaturpreis, der Georg-Büchner-Preis, im selben Jahr wurde Mayröcker auch die Ehrendoktorwürde der Universität Bielefeld verliehen, 2011 schließlich der Literaturpreis der Stadt Bremen.
Den angesehensten deutschen Preis für Hörspiele, den Hörspielpreis der Kriegsblinden, bekam 1969 das Hörspiel »Fünf Mann Menschen«, eines der großartigsten – und wie man so schön sagt – ungebrochen aktuellen Hörspiele, das sie gemeinsam mit Ernst Jandl geschrieben hatte.
Mit Ernst Jandl verband sie eine Lebensfreundschaft und Lebenspartnerschaft, die 1954 begann und bis zu Jandls Tod im Jahr 2000 andauerte. Seit seinem Tod lebt dieser große Dichter nicht nur in seinem eigenen Werk weiter, sondern auch im ständig neu sich formierenden Sprachwerk Mayröckers: als Gesprächspartner, als Anrufungsinstanz, als Lebens- und Liebesversicherung; »Requiem für Ernst Jandl«, »Mein Arbeitstirol«, »Ich bin in der Anstalt«, »Von den Umarmungen«, um nur einige bedeutende Buchtitel aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert zu nennen.
In zwei Jahrhunderten schöpferisch präsent, ist Friederike Mayröcker eine der bedeutendsten Erfinderinnen von Poesie und Wirklichkeit, ihre Dichtung lässt uns unsere Gegenwart intensiv und extensiv als Wirklichkeit aus Sprache in all ihren Formen erfahren.