Wo die Welt noch rund ist
1983 beobachteten einige junge Herren mit staunendem Interesse eine Kellnerin, die ein mit Gulaschsaft beflecktes Tischtuch einfach umdrehte und weiterverwendete. Daraufhin beschlossen sie, ein würfelförmiges Tischtuch zu entwickeln. Das könnte man fünfmal wenden, ehe es in die Waschmaschine müsste. Zwar wurde dieses Objekt nie verwirklicht – dennoch war das die Geburtsstunde für die vielleicht erstaunlichste Kulturinitiative in Österreich, getragen und geformt von Fritz Gall und Friedl Umschaid mithilfe von zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern.Ein Jahr später bereits fand die erste und zugleich vorletzte Nonsens-Erfindermesse in Herrnbaumgarten statt – mit riesigem Medienecho. Die weiteren Stationen: 1991 wurde der Verein zur Verwertung von Gedankenüberschüssen (VVG) gegründet, 1994 erfolgte die Eröffnung des Nonseums: Gezeigt werden Erfindungen, die wir auch nicht brauchen. 2001 wurde das «verruckte Dorf Herrnbaumgarten» proklamiert. «Wir delektieren uns an der wunderbaren Weisheit von Unsinnigem und helfen mit, die Vielzahl an bereits existierenden nutzlosen Erfindungen zu vermehren – nur eben mit Absicht», erklären die beiden Querdenker ihre Philosophie. «Das funktioniert auch nicht schlechter. Aber es macht wesentlich mehr Spaß. Persiflage ist der erste Schritt zur Menschlichkeit, und was könnten wir uns Schöneres wünschen als grenzgeniale Erfindungen wie den mobilen Zebrastreifen?» Ist das Dadaismus? Subversion? Neosurrealismus? Wohl von allem etwas. Spaßmacher gibt es viele, und lustig findet bald einer was. Warum aber faszinieren und berühren die Aktivitäten in Herrnbaumgarten die Menschen schon seit so langer Zeit? Mein ganz persönlicher Erklärungsansatz: Hier wird Spaß nicht mit «einer Hetz» verwechselt, ein Begriff abgeleitet vom Zu-Tode-Hetzen von Tieren zur Volksbelustigung. Es is kein Platz für «schenkelklopfenden» Brachialwitz. Niemals geht es darum, auf Kosten von Schwachen, Benachteiligten oder Randgruppen zu lachen, Menschen zu verletzen oder bloßzustellen. Das Scheitern wird als zum innersten Wesenskern des Menschen gehörig verstanden und belächelt. Man ist schräg, hintersinnig, man hilft den Menschen dabei, ein wenig ums Eck zu denken, und beschenkt sie anschließend mit einem feinen Stück Wahrheit. Der hoch technisierten und kommerzialisierten Welt wird ein Spiegel vorgehalten, Mechanismen und Methoden werden sichtbar; im wört-lichen Sinn, aber auch symbolisch. Nur selten schimmert der Wunsch durch, die Welt ein bisschen besser zu machen, etwa mit dem Aufstellen von Ortstafeln in zahlreichen Sprachen als Kommentar zum Kärntner Ortstafelstreit, von Tschechisch über Türkisch bis Koreanisch: «Welcome in Master’s Tree Garden». Um Infragestellungen aber geht es schon, wie im Märchen von «Des Kaisers neue Kleider». Der halb automatische Nasenbohrer als Antwort auf die ewigen Mahnungen der Eltern, doch die Finger aus der Nase zu lassen, die Sammlung historischer Knopflöcher als mehrfach um die Ecke gedachtes Ausstellungs-Highlight, das nichts zeigt – jedoch auf intellektuell und ästhetisch hohem Niveau. Mit dem Lachen öffnet sich ein Kommunikationskanal, ein Weg in die Seelen der Menschen. Ein Lachen, das nicht im Hals stecken bleibt; ein befreiendes, gesundes Lachen. Beachtlich ist die Aufmerksamkeit bei nationalen und internationalen Medien. Darunter finden sich Highlights wie die «Washington Post», das südkoreanische Fernsehen oder der ORF-Film über den angeblichen Fund eines Skeletts des österreichischen Doppeladlers in einem Herrnbaumgartner Keller – der Bericht lief als «True Story» auf CNN. Heuer präsentiert die Österreich Werbung auf www.austria.info/at das Nonseum als eines der touristischen Topausflugsziele im Land. Hier werden Ideen und Projekte bis ins kleinste Detail konsequent umgesetzt. Hier wird etwas definitiv zu Ende gedacht. Hier wird der Spaß noch ernst genommen. Hier ist die Welt noch irgendwie rund: mit Ecken dran.