Schiffbrüchige der Liebe
„Hirnsegel, blickdich“, stand da aufeiner Mauer. Ich las diese Wörter, als ich aufdem Weg in die Redaktion den Wiener Donaukanal entlang radelte. Seither segelt diese Formulierung durch mein Hirn – blickdicht. Immer setzt das Hirn die größten Segel, will rasch Fahrt machen und weit hinaus; und nur allzu oft bläst kurz danach der Wind der Wirklichkeit so rauh, daß man bald nicht mehr durchblickt, die Segel streichen muß, um wieder Sicht zu bekommen. Das war eine meiner Assoziationen. Ein paar Wochen später suchte ich ein paar Buchhandlungen nach Bänden mit Liebesgedichten ab. In einer fiel mir ein dunkelroter Band in die Hand, daraufstand ,,letzte liebesgedichte“ im Untertitel. Und als Haupttitel ,,Hirnsegel, blickdicht“. Als Autor war Friedrich Hahn angegeben. Nun wußte ich, wer der Erfinder war und hatte, was ich suchte. Das Werk des 1952 in dem kleinen Ort Merkengersch im Waldviertel geborenen Autors umfaßt mittlerweile 14 Bücher. Sprach Friedrich Hahn zu Beginn seines literarischen Arbeitens noch ganz in
„Kopfstimmen“ (Edition Roetzer, 1981) und faßte dabei den „Entschluß“: „ich trete geröll los. I ich spreche mir sprache ab. I ich werde mir sprache / als wort/patentieren lassen:“, so hielt er imvergangenen Jahr seine „Ohren in Ruhestellung“ ( Grasl Verlag, 2000), weil nicht nur die Kopfstimme versagte: ,,die manneszier ziert I sich I sie ziehen sich aus I sie ziehen sich nicht I aus I die dialoge die I schenken wir uns II den ganzen mann im schlepp I tau bläst sie zum I angriff I das kondom trägt sie I stülpbereit hinterm ohr“. Und daran läßt sich die Entwicklung, die Hahns Lyrik genommen hat, recht gut ablesen. Finden sich in dem frühen Band noch experimentelle Gedichte, die an die Wiener Gruppe denken lassen und auf die Konkrete Poesie zurückgehen, so sind in dem vorläufig letzten Band nur noch ganz auf das Wesentliche reduzierte Verszeilen zu finden, die oft mit einem Wort auskommen. Nicht mehr die Spielerei mit dem Material Sprache steht im Vordergrund, sondern die Beschränkung auf das Entscheidende, ,,hirngebremst“, wie eines der Gedichte beginnt. Friedrich Hahn ist ein recht vielseitiger Künstler. Er hat nie nur geschrieben, sondern immer auch gezeichnet, photographiert, collagiert, hat Installationen hergestellt, als Werbegraphiker gearbeitet und war gleichzeitig aufverschiedenen Gebieten der Text- und Bildgestaltung tätig. Freilich: Die Literatur war immer sein liebstes, weil schwierigstes Kind. Friedrich Hahn ist seinen Weg gegangen, unabhängig davon, was gerade en vogue war in der Literatur. Und es haben ihn immer nur ganz bestimmte Sachen interessiert. Die letzte Geschichte in
dem 1989 erschienenen Erzählungsband „innig getrennt“ (Flutlicht Verlag, Wien) heißt „(noch) ein fall von liebe“. Nicht nur, daß an dieser „Etüde“ sehr schön der fließende Übergang von der Lyrik in die Prosa abzulesen ist, sie ist auch programmatisch gesehen ein exemplarischerText. In dertitelgebenden Erzählung heißt es an einer Stelle: ,,entweder die dichter schrieben sich da ihre seelenblähungen vom leih … oder aber, und das konnte ihn noch weniger interessieren, die geschichten, die fiktionen und entwürfe so weit von der welt entfernt, die figuren offensichtlich so schlecht erfunden, weil an den haaren herbeigezogen, daß kein bild im eigenen kopf daranfestzumachen war.“ Bei Friedrich Hahn hingegen sind nicht nur die Geschichten sehr realitätsnah, sondern auch die Figuren aus Fleisch und Blut. Es wird nichts literarisch zurechtgebogen, sondern aus dem eigenen Erleben geschöpft. Das soll nicht heißen, daß alles biographisch ist, aber Beobachtetes, Gehörtes und Erfahrenes gehen in diesen Liebesgeschichten eine Liaison ein. Wobei die Crew, die Hahn auf Liebesabenteuerreisen schickt, keine gewieften Navigatoren, sondern vielmehr Schiffbrüchige der Liebe sind. Statt über des Meeres und der Liebe Wellen zu reiten, trampeln die Heldinnen und Helden dieser Geschichten oft gehörig durchs Leben. Kein Wunder, daß sich da so allerhand ansammelt „unterm beziehungsschutt, den containern des alltags“. Und so heißen deshalb auch Friedrich Hahns ,, neueste stories von der liebesfront“. In diesem 1995 veröffentlichten Erzählungsband (Flutlicht Verlag, Wien) ist nicht nur die bei Hahn ohnedies nie in epische Breite ausufernde Sprache noch einmal verknappt, es sind diese Geschichten auch vom Stoff her noch einmal verdichtet. In dieser Reduziertheit erinnern Hahns Texte ein wenig an den Großmeister der Short story, an Raymond Carver. Wobei
Carver seine Realitätsnähe unter anderem auch dadurch zeigt, daß seine Geschichten einfach ,,ausrinnen“, während ihnen Hahn am Schluß gern eine überraschende Wendung verleiht. Ein Satz aus dieser Erzählung könnte deshalb als Motto über dem literarischen Schaffen Friedrich Hahns stehen: ,,nicht die themen ändern sich, nur die zeiten wechseln.“ Und in einem Punkt haben sich die Zeiten nun tatsächlich geändert. Aufder Homepage der Literaturzeitschrift „Podium“, an der er mitgearbeitet hat, steht in Heft no bei Gedichten Friedrich Hahns – quasi als besondere Auszeichnung: ,,keine Preise, Stipendien oder Würdigungen“. Das wird nun geändert werden müssen. Und ich gratuliere!