Von der absurden Logik der Wirklichkeit
Einer spektakulären literarischen Karriere ist Friedrich Heller bisher – wohl infolge seiner überaus gutmütigen, selbstlosen Bescheidenheit – hauptsächlich selbst im Wege gestanden. Ein Artikel in den ,,NO Kulturberichten“ rühmt ihn als einen ,,bis zur Selbstverleugnung tätigen Helfer seiner der Mithilfe bedürftigen Mitmenschen“. Und die unvergessene Elisabeth Schicht, auch sie ein seltenes Muster an Kollegialität, urteilte treffend: ,,Der Aufruf zu ruhiger Besinnlichkeit – oft selbst ruhig, oft auch recht sarkastisch und zeitkritisch erlassen ist der Tenor aller Arbeiten Friedrich Hellers. In Lyrik und epischer Betrachtung, mit Aphorismen und ausführlichen Sinnsprüchen, mit Schlußfolgerungen der klassischen und seiner eigenen tiefsinnigen Philosophie bietet er den Menschen Rat und Hilfe an, baut ihnen einen Halt in die Verworfenheit der Gegenwart und wünscht aus altruistischen Motiven, dass sie auch nach der dargebotenen Bruderhand greifen und seine für ihr Verständnis formulierten Gedanken in sich aufnahmen mögen“.
Geboren ist Friedrich Heller 1932 in Groß Enzersdorf, am südwestlichen Rande des Marchfeldes. In einem seiner Bücher bekennt er: ,,In der Kindheit das Marchfeld immer als ödes Land empfunden. Liebe zum Waldviertel. Aber nach dem Verlust der engsten Heimat und nachdem so ziemlich alle Berge der Alpen Mont Blanc, Matterhorn, Monte Rosa, Bernina, Großglockner – bestiegen, die Größe der weiten Ebene erst erkannt“.
In den letzten Kriegswirren 1945 verschlug es ihn nach Nöchling im Bezirk Melk. Dort besuchte er ein Jahr lang die Dorfschule und war dann als Knecht ums Brot“, also ohne Lohn, in der Landwirtschaft tätig. 1947 verhalf ihm die Redakteurin einer Kinderzeitschrift, der ,,Wunderwelt“, der er eine Geschichte geschickt hatte, zu einer Lehre als Schriftsetzer in Wien. Heller war damals 15 Jahre alt. Er besuchte Abendkurse an der Graphischen Lehr-und Versuchsanstalt- auch Julian Schutting hat sie, ein paar Jahre danach, absolviert -, bildete sich als Autodidakt an der Volkshochschule weiter und erwarb sich in eigener Initiative und nach eigener Auswahl nicht nur ein überdurchschnittliches Maß an Allgemeinbildung, sondern auch die Voraussetzungen für seine Selbstfindung als schöpferische Persönlichkeit von eigenständiger Prägung und mit ausgeprägten philosophischen Neigungen. Das reine Denken zeigt sich bei ihm schon deshalb als ergiebig, weil es sich nicht mit der verwirrenden Stofffülle dieser unserer wissensüberladenen Zeit belasten muss und ihr eine legale Schranke entgegenzusetzen hat: nämlich das Argument, dass der Mensch durch Hast, Streß, Vielwisserei, Verdrehung und Verkehrung der Werte in eine geradezu ausweglose geistige Situation geraten sei, aus der nur ruhige Besinnlichkeit ihn zu retten vermag, sofern er sich dieser Rettung nicht mutwillig widersetzt.
Bis 1962 wohnte Friedrich Heller in Wien. Hier traf er mit den legendären Autoren der sogenannten ,,Wiener Gruppe“ um H. C. Artmann, Gerhard Rühm und Konrad Bayer zusammen. Mit Hanns Weissenborn war er an der Herausgabe der ebenso legendären Zeitschrift „alpha- neue Dichtung“ beteiligt, deren Hefte- es sind insgesamt nicht mehr als 10 Folgen erschienen – unter Sammlern heute ein kleines Vermögen wert sind. In diesen Wien-Erfahrungen liegen zweifellos die Wurzeln für seine spätere Auseinandersetzung mit der Mundart, aber auch für seine experimentellen Texte. Mit dem Gedichtband ,,Von Hieb zu Hieb“ gelingt es dem Niederösterreicher, Spezifisches, ja Artifizielles des Wiener Dialekts einzufangen und diesem durchaus beackerten Literatur-Boden neue Ernte abzugewinnen.
Seit 1962 lebt Heller mit seiner Frau und zwei erwachsenen Kindern wieder in Groß Enzersdorf. Rund ein Dutzend Bücher hat er veröffentlicht, sein Repertoire reicht vom Gedicht bis zum Roman, vom Aphorismus bis zum bekenntnishaften Essay, von den konventionellen Formen über visuelle Poesie bis zu einer von ihm kreierten ,,Zeichensprache“, die ihm von Eugen Gomringer, dem Guru der konkreten Literatur, hohes Lob eintrug. Selbst exotische Disziplinen wie das japanische Haiku haben in diesem Formenspektrum ihren Platz. Erst unlängst wurde der Autor in Matsuyama City vom japanischen Minister für Kunst und Kultur als Sieger des Internationalen Haiku-Wettbewerbes ausgezeichnet. Sein bevorzugtes Stilelement ist allerdings die Satire, etwa die überzeichnende Verknappung, deren bestechend absurde Logik von der Wirklichkeit nicht übertroffen werden kann und daher Vergnügen bereitet:
Schneide dir den Kaiserbart ab, mein Vater. Schneide dir den Castrobart ab, mein Sohn. Und ihr seht euch wieder ähnlich.
(„Demonstrationen“).
In Form einer Selbstpersiflage benützt er den Lübecker Buchdrucker und Verschlimmbesserer Johann Balhorn, um sich kauzig-humorvoll über orthographische und grammatikalische Auswüchse unserer Sprache lustig zu machen („Balhorns gesammelte Denkanstöße“). Er reibt sich an unlogischen Zusammensetzungen, an fehlerhaften Klein und Großschreibungen, an phonetischen Ungenauigkeiten – nicht ohne zuletzt zu dem Ergebnis zu gelangen, dass unsere Sprache ohne ihre Fehlleistungen sicher verarmen würde, weil dem logischen Gerippe dann das Fleisch fehlte.
Mit dem unmöglichen Onkel Emil Thaddäus schließlich, dem Protagonisten des gleichnamigen Schelmenbuches („Der unmögliche Onkel“), schuf Friedrich Heller eine skurrile Gestalt vom Schlage Palmströms, einen zeitfernen Typ, hinter dessen nonsenshaftem Gehabe der Tiefsinn sichtbar wird. Er ist, wie sein Erfinder, eine Art kauziges Genie, das alles kann, was dem Normalbürger niemals einfallen würde, weil zu solchem Können eben die Fähigkeiten eines Lebenskünstlers gehören. Und deshalb hält man den Onkel Emil, der eigentlich ein Weiser ist, in den Kreisen der Spießbürger für verrückt, weil von ihnen eben jeder, der nicht nur an Profit und Geldvermehrung denkt, für verrückt gehalten wird.
Wer Friedrich Hellers hche Auffassung von seiner beruflichen Verpflichtung – bis vor kurzem arbeitete er als Korrektor im größten print-Medium des Landes – und seine absolute Verläßlichkeit in den von ihm auf sich genommenen Tätigkeiten im Dienst schreibender Kolleg(inn)en und literarischer Organisationen – als Vorsitzender-Stellvertreter der Arbeitsgemeinschaft Literatur im NO Bildungs- und Heimatwerk- kennt, muss sich bei allem nur fragen, wann und unter welchen Bedingungen er es schafft, dieser so produktive und unverwechselbare Dichter und Schriftsteller zu sein. Wer ihn kennt, weiß freilich auch, dass Friedrich Heller nicht nur davon spricht und schreibt, sondern es vorlebt, nämlich Kunst aus dem Opfer, das man in einer dem Materiellen anheimgefallenen Zeit als Idealist absolut uneigennützig erbringt, sich – auch physisch – abzuringen. Es sind nicht viele unter den niederösterreichischen Autor(inn)en, die den Zweifel nicht kennen. Friedrich Heller gehört zu ihnen. Still und voll des von dieser unserer Zeit so sehr entbehrten inneren Friedens fügt er Stein an Stein, Lebensweisheit an Lebensweisheit, und aufflammend zu polemischkämpferischer Gerechtigkeit wird er nur dann, wenn man ihm die in einsamer Güte und Weisheit sich selbst abgerungene Wahrheit seiner Kunst nicht glauben will.