Wege-Suche
Fritz Keil, Jahrgang 1957, ist Niederösterreicher aus der Zeit der Kindheit und aus Begeisterung. Sein Oeuvre umfasst zahlreiche Text-Vertonungen- nach Rilke, Artmann, Joyce- Kammermusik für gebräuchliche und ungebräuchlichere Instrumente- Monochord, Gambe, präpariertes Klavier, chinesische Gongs. Seine Stücke sind bei den großen österreichischen Festivals aufgeführt worden und anderswo in Europa.
„Ich hätte nichts Anderes als Komponist werden können ich war viel zu ungeschickt für die Geige. Ich arbeite viel mit Skizzen, ich bin ein ziemlicher Langsam Schreiber, ich bin leider furchtbar unbegabt für neue Technologien, ich schreibe auch Noten noch mit der Hand. Ich habe Angst vor Notenschreibprogrammen, die mich einschränken oder bestimmen, aber natürlich beziehe ich Elektronik in meine Kompositionen ein.
Ich höre viel neue Musik, sehr pluralistisch, ich liebe die Zeitton-auf-Wunsch-Sendung Giselher Smejkals. Ich versuche diese Weltoffenheit in meiner Komponistengruppe, Ambitus“ zu präsentieren, die das nächste Konzert diesmal im Tabakmuseum am 22. Oktober macht.
Meine nächste Aufführung ist am 5. Oktober im Sendesaal des Radiokulturhauses. Mein Stück heißt ,Songlines‘- ein Begriff, der im Leben der Aborigines eine Rolle spielt – obwohl mein Stück nichts mit australischer Musik zu tun hat.
Die australischen Aboriginis, eine Nomadenkultur, können mit bestimmten Liedern einen Weg durch die australische Landschaft finden das ist im Rhythmus und im Text beinhaltet-und umgekehrt, wenn man den Weg kennt, findet man die Melodie. Der Weg ist also auf eine bestimmte Art festgelegt. Mein Komponieren sehe ich ähnlich-Wege-Suchen in meiner inneren Landschaft.
Ich ergreife einen bestimmten Weg, der bereits festgelegt ist-das nenne ich deduktives Komponieren, und verlasse ihn wieder für induktives Komponieren die Logik des Ohres, quasi das Niemandsland des Komponisten. Auf diese Weise verbinde ich meine zwei Gehirnhälften.
Die Struktur, die ich mir für einen Ausschnitt des Stückes wähle, kann alle möglichen Elemente enthalten. Würde ich sie sehr streng durchhalten, wäre mir beim Komponieren langweilig. Ich glaube, dass die Logik des Ohres feiner ist als jede äußere erfundene Struktur.
Eine meiner beruflichen Tätigkeiten – einmal die Woche- ist, Kunst mit Behinderten zu machen. Da bin ich draufgekommen, dass vor allem Dadaismus ein guter Ausgangspunkt ist. Ich habe Filme, Tonträger und Hörspiele mit Behinderten gemacht im Rahmen des ,Osterreichischen Verbandes für Spastiker‘. Ausgangspunkt ist ein Satz H.C. Artmanns, der sagt: jeder Mensch ist ein Poet, der Phantasie hat, der Sehnsucht hat. Es geht mir darum, die Gefühle, die die Leute artikulieren, möglichst authentisch einzufangen. Mit Medien – Tonträger – geht die Arbeit sehr gut.
Viele Künstler sind sehr auf sich bezogen. Kunst machen ist meiner Selbstbezogenheit entgegen zu wirken. Meine Erfahrung ist im Spektrum zwischen der absoluten Kompromisslosigkeit des Künstlers bis zu den Reaktionen der Zuhörer. Wenn einer sagt, diese Polarität gibt’s bei mir nicht, schwindelt er, oder er ist schon sehr enttäuscht. In jeder Komödie Shakespeares gibt’s den Prolog oder Epilog – der sich direkt ans Publikum wendet. Das ist eine Balance zwischen mal bei mir und mal bei den andern sein.
Schon beim Komponieren muss ich die Frage einkalkulieren: Wie erreicht man sich gegenseitig?
Ich versuche beim Komponieren einzukalkulieren, wieviel Zeit ein Ensemble haben wird. Natürlich liebe ich Ensembles wie das Orpheus Trio, die ihre Stunden in der Probenarbeit mit mir nicht abrechnen. Aber für ein Orchester muß ich einkalkulieren, daß die Motivation zum Probieren begrenzt ist. Kammermusik ist seit Haydn das Probierfeld, und da gibt’s schon in der Vorbereitungsphase einen Austausch. Selbstverständlich ist Musik für bestimmte Interpreten gedacht.
Ich möchte meine Zielgruppe ernst nehmen: das sind künstlerische Menschen aus anderen Sparten und die Interpreten meiner Musik, also sensibilisierte, offene Menschen.
Meinen Lehrern bin ich sehr dankbar; bei Kurt Schwertsik habe ich eine gewisse Universalität kennengelernt, bei Friedrich Cerha die Ernsthaftigkeit als Haltung, die einheitliche Heterogenität. Bei Schwertsik habe ich mich dafür bedankt, dass man sich unter seiner Führung der Musik in kleinen Schritten nähert und dass es sich dabei nicht nur um Stimmführungsregeln handelt. Ich danke ihm dafür, was er mir alles bewusst gemacht hat.
Am 10. Dezember wird im Rahmen von Musikaktuell mein Stück ,,In Memoriam Brecht“ auf Texte Nikolaus Dominiks uraufgeführt. Es spielt das von mir vielgeschätzte Orpheus Trio mit Margarete Jungen als Gesangssolistin in der Synagoge in St. Pölten. Es ist eine Brecht-Kantate, textlich eine Collage aus Zitaten Brechts zu seinem Schaffen, einer Aufzählung der Titel seiner Dramen, aus biographischen Hinweisen, Zitaten aus seinen Werken und Brecht-Gedichten, die-so der Textautor- „Meister Brecht auf die Finger hauen und das Lehrerhafte ins Leere wenden“. Dazwischen Sprechparolen mit dem Megaphon.“
(Und auf die Frage: Können Sie vom Komponieren leben) – ,,Ich kann nicht ohne Komponieren leben. Und auch nicht ohne Niederösterreich:
Wenn ich nicht so ein urbaner Typ wäre, wäre ich die ganze Zeit im Waldviertel. Das Dunkle der Wälder – das ist meines. Wie heißt’s in der Brecht-Kantate: die Kälte der Wälder wird in mir bis zu meinem Absterben sein.“