Malerei als prozessuales Projektionsfeld der Wahrnehmung
Im Jahr 1998 hat Agnes Fuchs, 1965 in Pressbaum bei Wien geboren, ein Buch über eine Antarktis-Expedition aus den 6oer Jahren in einem Prager Antiquariat erworben, das zu dem primären Inspirationsmaterial für ihren letzten großen Werkblock geworden ist. Das an sich für heutige Verhältnisse unmodern und uneinheitlich gestaltete Layout und die groben Rasterung der Abbildungen haben für die Künstlerin einen neuen Anstoß für die Reflexion der Wahrnehmung, Narration und Ästhetik ermöglicht. Die verschwommenen, jedoch sehr malerisch wirkenden Reproduktionen der Forscher in der Antarktis scheinen aus ihrem Gesamtkontext gerissen, der erzählerische Strang und das inhaltlich Gebundene gehen in den Abbildungen verloren. Agnes Fuchs hat sich dieses ,,Bilderbuch“ gleichsam als Vorlage genommen und einzelne Bilder in ihre malerische Sprache transformiert. Das ursprünglich als Dokumentationsbild fungierende Bild hat durch die Malerei an Präsenz gewonnen. Wenngleich die Künstlerin auf Details nicht verzichtet, sind die Werke mit malerischer Sphärik und
Freiheit durchdrungen. Wenn sie zum Beispieleinen Globus als motivische Vorlage nimmt, dann wird zwar die geographische Authentizität beibehalten, innerhalb der einzelnen graphischen und flächigen Segmente nützt sie jedoch den sehr reduziert gehaltenen Freiraum für den malerischen Prozess aus. Die Umrisse eines Kontinents können dadurch an Exaktheit einbüßen, der Ozean kann einfach freie Malerei sein.
Wenn Fuchs die Fotografie als Vorlage nimmt und in Malerei umsetzt, dann verändern sich grundsätzliche Phänomene. Die Fotografie ist eine Momentaufnahme einer räumlichen Situation, objektiviert durch die Technik und naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. In der Malerei wird der Blick
aufein abzubildendes Objekt oder aufeine Situation durch die Erinnerung des Individuums, also dem Maler in diesem Fall, grundlegend verändert. Diese
Schnittstelle von Wahrnehmung im Naturwissenschaftlichen und Künstlerisch individuellen steht als zentrales Thema im BildkonzeptvonAgnes Fuchs. Fuchs führt auch den Betrachter ihrer kleinformatigen figurativen Expeditionsbilder dorthin, wo
er über das Betrachten selbst reflektiert. Das ist auch eines der Themen dieses Bilderzyklusses. Der Rezipient betrachtet den Antarktisforscher beim Betrachten der zu erkundenden Gegend im Gemälde. Weiters verselbständigt sich Fuchs‘ Bilderzyklus um die Antarktisexpedition, da eine neue und eigenständige narrative Struktur entstehtein rhythmisches, in sich geschlossenes System zwischen Mikro- und Makrokosmos: Ein Forscher beobachtet aus dem Fernrohr eine Insel, im Labor wird ein schachtelförmiges Objekt betrachtet, das aber zugleich ein architektonisches Maß einnimmt und zu einem Labor mutiert. Ende der 9oer Jahre hat Agnes Fuchs mehr oder weniger abstrakte Gemälde geschaffen, mit Titeln wie Maserung oder Punktstreuung. Sie sind alle ,,Nachbilder der Wahrnehmung“, so die Künstlerin.
In wissenschaftlicher Manier definiert Agnes Fuchs die Bedeutung von Maserung folgendermaßen: ,,Maserung wird zum Begriffund nimmt als solcher stellvertretend die Position jenes Grenzwertes ein, gegen den sich ein Bild bewegt, wenn man nach
dessen allgemein gültiger Identität forscht. – Das einzelne Bild wäre sodann die Maserung einer bestimmten Schnittfläche zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext.“ Diese Bilder entstehen durch Übereinanderschichten von Tuschelasuren. Im Rahmen der Nachbilder entstehen dunkel gehaltene Gemälde, aus deren finsteren Gründen
weiße Punkte, gleich einem stellaren Meer erstrahlen. Diese Bilder sind im Unterschied zu den Antarktisexpeditions-Arbeiten Konstruktionen und
keine malerischen Abbildungen der Wirklichkeit. Dennoch kommt die Assoziation zum Sternenhimmel auf. Man vergleicht sie vielleicht mit den monumentalen fotografischen Werkenvon Thomas Ruffoder den stellaren Gemäldenvon Ross Bleckner. Agnes Fuchs konzentriert sich auf das Thema der Wahrnehmung an sich und weniger aufden naturalistischen Kontext. Dieser kann jedoch dafür, wie im
Beispiel der Antarktisbilder, einen formalen Mantel bilden. Der Kern ist eine wissenschaftliche erkenntnistheoretische Auseinandersetzung mit der mensch-
lichen Wahrnehmung einerseits und dem objektiven Blick durch die Linse andererseits.