So nah, so fern
Bewegungen. Zunächst scheinbar zielloses Gehen, eher eine Form des Sich-gehen-Lassens, dem gleichwohl etwas Drängendes innewohnt. Und immer wieder Blicke, in denen sich unheimliche, buchstäblich uneindeutige Sehnsüchte spiegeln.
Wer sich auf die Prosatexte der 1957 in Krems geborenen Autorin Gabriele Petricekeinlässt, findet sich in einem Sog wieder, dem man sich kaum entziehen kann und der dennoch mitnichten berauschende Gefälligkeiten aneinanderreiht. Petriceks Schreiben ist voller Doppelbödigkeiten und plötzlicher Sprünge und Brüche. Man kommt ihren Protagonistinnen und Protagonisten schmerzhaft nahe – um im nächsten Absatz festzustellen, dass sie sich dem Bild, das man sich von ihnen gemacht hat, auf geheimnisvolle Weise entziehen. Petriceks poetischer Kosmos ist hochgradig erotisiert und dann wieder von geradezu körperloser Nüchternheit. Ihre Literatur entfaltet eine ähnlich beklemmende Wirkung wie etwa die Filme von David Lynch (»Mulholland Drive«), wie aus ihrer oft handkameraartigen Sprachführung insgesamt eine Affinität zum Visuellen spricht.
Gabriele Petricek hat in ihrem künstlerischen Werden und Tätigsein immer schon eine Neigung zur Vielseitigkeit und zum Überschreiten von Genre- und Arbeitsfeldgrenzen verspürt. Nach ihrer Schulzeit absolvierte sie eine Ausbildung zur Modeentwerferin und kreierte Kollektionen für Damenmode. Anfang der 1990er Jahre wechselte sie zum Schreiben – zunächst als Journalistin und Kulturpublizistin für renommierte deutschsprachige Zeitungen wie die »Süddeutsche« oder den »Standard«. Auch als Kuratorin im Bereich Architektur war sie tätig und kooperierte mit Musikerinnen und Musikern und bildenden Künstlerinnen und Künstlern. Seit fünfzehn Jahren verfasst und publiziert sie literarische Texte und erhielt dafür zahlreiche Preise und Stipendien, etwa das Hans-Weigel-Stipendium des Landes Niederösterreich und mehrere Einjahresstipendien des Kunstministeriums.
Petriceks Texte sind ein mehr als anerkennenswertes Beispiel dafür, wie aus höchster ästhetischer Präzision eine vieldeutig schillernde literarische Welt entsteht.