Gerlinde Thuma

Bildende Kunst

Bilder aus dem Fluss des Lebens

Der Mensch und die Wirklichkeit, das ist ein vertracktes Verhältnis, dem das richtige Maß von Distanz und Nähe allzu leicht abhanden geht. Die künstlerische Rede über diese leidenschaftliche Mesalliance schien lange Zeit verständlich zu sein als jene von Wissenschaft und Technik-erst die Metasprache der abstrakten Kunst über sich selbst hat den gegenteiligen Effekt bewirkt: Alle Welt gibt vor, die kompliziertesten technisch-wissenschaftlichen Errungenschaften zu verstehen, nur nicht die abstrakte Kunst. Sie bleibt ein Geschäft für Minderheiten.
Gerlinde Thuma hat sich als Malerin von Anfang an mit der wirklichen“ Wirklichkeit auseinandergesetzt, und zwar in einer allgemeinverständlichen Sprache über sie, die wir realistisch nennen. Sie hat daher bei Maria Lassnig studiert und sich dort an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien bei Hubert Sielecki, auch vor allem dem Animationsfilm-Trickfilm hieß das früher gewidmet.
Nach ihrem Diplom, 1988, überraschte sie die Kenner ihrer früheren Arbeiten mit einem künstlerischen Gesinnungswandel, der radikal erscheinen musste – und einige stieß sie wohl auch vor den Kopf damit.
Bei genauerem Hinsehen erweist sich jedoch, dass darin der Tatradikale Schritt nicht in einer geänderten Auffassung von Wirklichkeit oder Kunst bestand, sondern darin, über sich selbst reden zu können, über ihre, ihre eigene künstlerische Sprache reflektieren zu können. Dabei kam ihr zugute, was sie sich im Animationsfilm angeeignet hatte. Interessanterweise begann sie gleichzeitig, Bühnenbilder zu entwerfen, für Stephan Bruckmeier, den gefeierten jungen Regisseurd.h., die Kunst als malerische Reflexion und die illusionär angewandte Kunst im Dienste einer nicht durch die Malerei selbst vorgegebenen Thematik wurden bewusst getrennt. Eine steigende Zahl von Ausstellungsbeteiligungen und Einzelausstellungen bestätigen den Weg der Künstlerin auch äußerlich.
Eines der grundsätzlichen Missverständnisse über abstrakte Kunst besteht in der Auffassung, sie bilde eine Art Entfremdung von der Wirklichkeit ab.
Tatsächlich setzt sie deren vollständige Assimilierung voraus. Gerlinde Thuma hat sich für die Bilder und gegen die Abbilder entschieden und außerdem für einen ihr eigenen sensiblen Umgang nicht nur mit der Farbe, dem eigentlichen malerischen Element, sondern mit dem gesamten Material, so wie es beim Animationsfilm der Fall ist, dessen Faszinosum für viele Maler/innen, die sich ihm mit Begeisterung widmen, eben darin zu bestehen scheint, dass- im Gegensatz zur statischen Leinwanddas Material beweglich, luzid, fragil und täuschend ist.
Die neuen Bilder Gerlinde Thumas entstehen als Materialbilder, Collagen, aus einem Lebenszusammenhang heraus, den die „poetischen“ Titel der Werke reflektieren-,,Once in a room“, „Duft“, „ – kann nicht bleiben“- und machen ihren Entstehungsprozess auch freimütig nachvollziehbar. Manchmal sehen sie unfertig aus, aber gerade hierin manifestiert sich der künstlerische Wille: Ein möglicher Beginn ist überall in allem zu finden, der Abschluss jedoch, mit dem die Künstlerin festhält ,,das will ich zeigen“, ist niemals beliebig. Wie durch die Technik des Schnittes im Film werden Bilder aus dem Fluss des Lebens herauspräpariert, die dem Betrachter bedeuten: „Hier bin ich“ und wenn er zurückfragt: „Und wer bist Du?“, kann das der Beginn einer leidenschaftlichen Alliance mit der Kunst werden.
Gerlinde Thuma wurde 1962 in Wien geboren. 1981 bis 1988 studierte sie Malerei und Trickfilm bei Prof. Lassnig an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. 1988 Diplom. Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen seit 1984, Gestaltung von Bühnenbildern seit 1989.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1991