Gert Linke

Bildende Kunst

Vertraute Szenarien

Die Jury hat mit der Wahl des diesjährigen Würdigungspreisträgers eine mehrfach bemerkenswerte und richtungsweisende Entscheidung getroffen. Gert Linke ist kein spektakulär in die Öffentlichkeit drängender Künstler. Er hat sich diese Ambition nie angeeignet, weil er es wohl für wesentlich hält, sich ohne Seitenblicke auf seine Arbeit zu konzentrieren. Da genehmigt sich ein Künstler den ungeheuren Luxus, ohne Prostitutionsgebärden gegenüber dem Kunstmarkt und den Medien bloß zu schaffen. Eine integre Haltung von heute schon singulärer Qualität. Hinter Linke stehen weder selbstinteressierte Protektoren noch eine meinungsbildende Clique. Die Entscheidung der Jury war daher außerge- wöhnlich und allein auf das Werk beschränkt. Auch die oft geübte Praxis, daß ein im hohen Alter stehender Künstler noch rasch geehrt werden müsse, wurde in diesem Fall zur Seite geschoben. Und schließlich ist Linke auch nicht in die traditionellen Kategorien Malerei, Grafik oder Bildhauerei einzuordnen, sondern am ehesten als Objektmacher zu bezeichnen. Unzweifelhaft ist es, daß er ein konsequentes und abgerundetes Werk vorweisen kann. Die Jury hat dies erkannt und eine selbstbewußte Entscheidung getroffen. Dafür ist allen Jurymitgliedern zu danken. Der 1948 in Tulln geborene Künstler besuchte. von 1963-1967 die Bundesfachschule für Holzbearbeitung, Abteilung Bildhauerei, in Hallstatt. Ab 1968 studierte er an der Hochschule für angewandte Kunst bei Prof. Hans Knesel, nach dessen Tod bei Prof. Wander Bertoni. Im Jahr 1973 erhielt er das Diplom (Akademischer Bildhauer). Im Februar 1980 wurde eine repräsentative Personalausstellung im Nö. Landesmuseum gezeigt. In der Folge dieser Schau erhielt Linke zahlreiche Einladungen zu internationalen Ausstellungen. Linkes CEuvre umfaßt Objekte und Zeichnungen, die häufig Entwürfe für eine Ausführung vorzugsweise in Holz oder Metall sind. AIie seine Arbeiten haben klare inhaltliche Zielsetzungen, die er gekonnt und formal präzis umzusetzen versteht. Titel wie ,,Käfig für einen Fernseher (Fernsehapparat und Bewegungskäfig)., ,,Käfig für eine Stammtischrunde“, ,,Form für kopflose Mitmenschen“, „Schutzgerät für einen Fußgänger“ oder ,,Gedenkstätte und Sarkophag für einen unbekannten Turner“ weisen darauf hin, worum es dem Künstler grundsätzlich geht. Linke führt uns aus dem Alltag vertraute Szenarien vor Augen, die er auf ihre historischen und aktuellen Realitätsbezüge hinterfragt. Dabei kommt es zu einem individuellen Verschnitt verschiedener, gleichzeitig bestehender Wirklichkeiten. Am Ende des Denkprozesses wird dieses geistige Modell auf die wesentlichen Aussagewerte reduziert und schließlich formal gültig vergegenständlicht. Was der Betrachter dann sieht, ist ein neuer, ihn überraschender Weltausschnitt: Eine vertraute Szene ihm zwar bekannter, aber in diesem Zusammenhang noch nie realisierter Wirklichkeitsebenen. Irritation und Erkennen treten ein. Was der Menschheit in der Folge der Aufklärung widerfahren könnte, bringt Linke auf den Punkt: Die Enthumanisierung. Darauf weist das perfekte, technoide Erscheinungsbild seiner Arbeiten hin. Das Individuum wird zum integrierten, anonymen Bestandteil. Mensch und Objekt sind eine Symbiose eingegangen, die für einen Partner tödlich enden wird. Dieser Zustrom bedarf nicht einer neuen Aufklärung, sondern der Abklärung. Linke hat in unserem Land die Funktion des Abklärers übernommen. Er erfüllt diese Aufgabe mit viel Ironie. Wir dürfen lachen, solange wir es noch können. Bis hin zum Erstickungskrampf.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1987