Gudrun Büchler

Literatur
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«Wer mehr als nur mein Leben will, der muss sich zeigen»

Dies denkt Marlies, eine der vier Protagonistinnen, gegen Ende von Gudrun Büchlers Romandebüt «Unter dem Apfelbaum», das 2014 im Septime Verlag erschien. Der Satz symbolisiert zweierlei: Zum einen demonstriert damit eine der Frauen eine fast trotzige Stärke, zum anderen stellt sie den Wert des eigenen Lebens in den Schatten eines anderen: jenes ihrer stummen Tochter Milla, früh abgeschoben in ein Kinderheim, dort hilflos dem Unverständnis und der Grausamkeit ihrer Umgebung ausgeliefert.
Marlies’ Erkenntnis, über den Willen und die Kraft zu verfügen, ein anderes Wesen zu beschützen, steht am Ende eines ein ganzes Jahrhundert umspannenden Generationenporträts.
Marlies und Milla, Mutter und Tochter, sind die beiden jüngeren der vier Frauen im Roman, ebenso viel Raum wird den Schicksalen der Großmutter Mathilda und der Urgroßmutter Magda gegeben.
Gudrun Büchler erzählt jedoch nicht linear ein Leben nach dem anderen, sondern gewährt blitzlichtartig kurze Blicke auf zentrale biografische Stationen, durch virtuos komponierte zeitliche Wechsel in eine komplexe, immer wieder weit von der Chronologie abweichende Ordnung gebracht. Die Erzählerstimme, mehr «Fünkchen» und «stummer Zeuge» als klar umrissene Figur, mischt sich dreimal nicht in das Leben der «dem Wegsehen und dem Schweigen» ausgelieferten Frauen ein und ist ihnen doch als Einzige wirklich nah.
Rund um diese Figuren, mehr noch aber um das Schweigen, das Nicht-Zuhören, die Einsamkeit der Einzelnen inmitten einer mit sich selbst beschäftigten Welt spannt sich der Bogen dieses ungewöhnlichen, nachdenklich machenden und doch spannenden Buchs. Die Genauigkeit des Blicks auf die Figuren, die sparsame, stimmige Darstellung der Zeitläufte, aber auch die Souveränität in der Ausgestaltung des weiträumigen konzeptionellen Entwurfs überzeugen: «Unter dem Apfelbaum» ist ein beeindruckendes Debüt.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2014