H.C. Artmann

Literatur

Hermetiker und literarischer Seiltänzer

Die Biografie H.C Artmanns ist sein Werk. Über seinen äußeren Werdegang sei daher hier auch nur das Allernotwendigste berichtet. Er wurde am 12. Juni 1921 als Sohn eines Schusters im niederösterreichischen St. Achatz am Wald geboren, wuchs in Wien-Breitensee auf, war im Zweiten Weltkrieg Soldat, wurde verwundet, und war von 1945- 49 Dolmetscher der Amerikanischen Armee.„Meine Heimat“, so bekennt er selbst, ,,ist Österreich, mein Vaterland Europa.“ Reisen führten ihn nach Frankreich, in die Niederlande, nach Belgien, Skandinavien, Italien, Spanien und Irland. Für lange Perioden seines Lebens schlug er seinen Wohnsitz in Stockholm, später in Berlin, dann in Malmö und Lund auf. Seit seiner Rückkehr nach Österreich lebt er in Salzburg. Eine besonders innige Beziehung verbindet ihn mit dem Waldviertel. In dem von Jochen Jung herausgegebenen Artmann-Album (1985) gibt es eine Photographie, die zu den schönsten zählt, die einen Dichterzeigen: H.C. Artmann umschließt in der tiefverschneiten Landschaft des Waldviertels mit seinen Händen den Stamm einer Birke und küßt den Baum, so, als ob er durch dessen Berührung sich Kraft aus der Natur holen wollte, ein Antäos unseres Jahrhunderts. Es ist nicht erweisbar, aber schön, sich vorzustellen, daß Verse wie die folgenden von der mythischen Landschaft des Waldviertels inspiriert sein mögen: schon blüht die bitter grüne nuß im hasel wald ein lauer wind trägt meinen staub zum hasel wald mit himbeer fingern schrieb der abend seinen vers und lieblich steigt der mond aus nacht und hasel wald Die ,,Lust etwas zu schreiben“ überkam H.C. Artman n, wie er in ,, Das Suchen nach dem gestrigen Tag oder Schnee auf einem heißen Brotwecken“ festhält, im Spätherbst 1941. Er trug im Spazierengehen Notizen in ein Schulheft ein. In den 54 Jahren, die seither vergangen sind, hat er Dutzende von Büchern vorgelegt, Gedichte, erzählende Prosa und eine Rei he von Bühnenstücken, ,,Votivsäulchen für das goldene Wiener Gemüt“ wie ,,Kein Pfeffer für Czermak“, Kasperlstücke wie ,,die mißglückte luftreise“, vom Pawlatschentheater inspirierte Szenarien wie ,,die hochzeit caspars mit gelsomina“ und die märchenhaften ,,kleinen taschenkunststücke“ an der Grenze zur „chinoiserie“. H.C. Artmanns Dichtungen liegen bereits in einer umfangreichen Gesamtausgabe vor, seine ,,Gesammelte Prosa“ bis 1973 erschien in drei Bänden 1979 unter dem Titel ,,Grammatik der Rosen“. Von den Veröffentlichungen der Spätzeit seien die Geschichten ,,Im Schatten der Burenwurst“ und der Gedichtband ,,das prahlen des urwaldes im dsch ungel“ hervorgehoben. Nicht übersehen sollten Artmanns Übersetzungen und Nachdichtungen werden, hauptsäch lieh aus dem Französischen und Spanischen, aber auch Übertragungen keltischer religiöser Dichtungen, die in dem Band ,,Schlüssel zum Paradies“ (1993) nachgelesen werden können. H .C. Artmanns Dichtungen sind literarische Seiltänzerkunststücke, Sprachspiele eines genialen Jongleurs mit geheimnisvollen Vokabeln, Flunkergeschichten, auf reich verzierte Stockdegen aufgespießte pantagruelsche Episoden und Facta. So wie bei Rabelais der Jäger Carpalum auf das Wild, bolzt H.C. Artmann auf die Wirklichkeit los mit dem Pfeil der Phantasie, der stets ins Schwarze trifft. Der Dichter, der auch Vergleichende Sprachwissenschaft studierte, mäht nicht mit zu Sensen umgesch miedeten Begriffen Papier, sondern hat Courage genug, den Mond bei den Hörnern zu packen, die bizarren Sprünge, die sich die Wirklichkeit manchmal leistet, mit phosphoriszierenden Worten und Metaphern so nachzuzeichnen, daß das Pandämonium der Welt und des Landes Utopia vor uns (oder in unseren Träumen) ersteht. Er ist ein „homo schnappiens“, um einen Ausdruck von ihm selber zu gebrauchen, einer, der nach jedem Bissen Welt schnappt und sich ihn einverleibt. Er läßt sich nicht domestizieren, nicht· zum männchenmachenden Bürger umformen, auch wenn er, wie man hört, ein fürsorglicher Familienvater ist. Er greift ins volle Menschenleben, und wo er’s packt, da ist es interessant. Den literarischen Durchbruch erzielte H.C. Artmann mit seiner Sammlung ,,med ana schwoazzn dintn“ 1958. Er kitzelte damit nicht nur das Zwerchfell seiner Freunde, sondern rief auch zahlreiche, vielfach gelehrte Interpreten auf den Plan, die sich den Kopf darüber zerbrachen, ob der verwendete Dialekt in Braadnsee oder in St. Achatz heimisch ist. Zum Haustrost eignet sich dieser Band natürlich nicht, dafür ist er zu satt-frisch, zu bös-aggressiv, zu kernig, zu spitzfindig, zu philosophisch auch. Aber die sieben Auflagen, die dieser Gedichtband bisher erreicht hat, mögen als Beweis dafür gelten, daß das Publikum sehr wohl erkannt hat, daß in dieses grimmige firlefanzende Buch so manche Wahrheit eingeschrieben steht. Eine Zeit lang stand H.C.Artmann der ,,Wiener Gruppe“, deren Anthologie ,,hosn rosn baa“ er mit Gerhard Rühm und Fried rich Ach leitner besorgte, nahe, kurzfristig auch dem Aktionismus. Wer aber geglaubt haben mochte, daß H.C. Artmanns Richtung damit entscheidend beeinflußt worden wäre, irrte gewaltig. Schon seine nächsten Veröffentlichungen – ,,husaren & c. Geschichten“ (1959), ,,Schnee auf einem heißen Brotwecken“ (1954, 1971), „dracula, dracula, ein transsylvanischer text“ (1966), „Allerleihrauh“ (1967), „persische Quatrainen“ (1967) weisen ihn als einen Dichter aus, der über jede literarische Richtung hinauswuchs und sich aller poetischen Möglich keiten bedient. Stilelemente von der Barockzeit bis zum Expressionismus, von der Mystik bis zur sur-realen Groteske nützt, niemals aber als Epigone eines fremden Stilwillens, sondern stets aus der Erfahrung eigenen Wesens. Es ist höchst bezeichnend, daß dieser Dichter der hochgespannten Phantasie, der fliedernden Diktionen, der als Hermetiker Rose und Einhorn zum Bild „denkt“, in die alte Alchemie greift, aber auch als literarischer Zirkusreiter sich produziert, weil er inmitten des ,,tragischen Rationalismus unseres Lebens“ im Zirkus ,,eine pittoreske Oase des Irrationalen“ erkennt, die Erfahrung als eine Bedingung des Schöpferischen anerkennt: ,,Ich nehme mir jahr um jahr vor, im kommenden früh ling, im kommenden Sommer viel aufmerksamer zu sein, viel mehr den vögeln zuzuhören, richtig zuzuhören, zu lauschen, den grünen duft dieser blätter besser einzuatmen, die flimmernden sterne genauer zu beobachte, staub und faulenden holunder erkennender zu spüren, mit allen zehn abdrücken meiner finger nach den kühler werdenden landschaften der talmulden zu greifen, als wären sie die glatten landschaften der haut, die sich um schönlebendiges fleisch spannen ..“Als Enigmatiker und hermetischer Dichter, als Sprach magi er verknotet H .C. Artmann das A-logisch-Traum hafte mit enthymemischen Metaphern, übersetzt er Gesichte a la Archimboldo ins Literarische. Aber auch das Volkslied hafte hat seine Platz: ,,Ich hör den Tosbach rauschen die tollkirsch reift am hang als alphirt will ich lauschen der wilden vögel sang“ Von den Lesern, die von H . C. A rtman n s prech en, haben wohl nur wenige den gleichen Dichter vor Augen, der eine jenen, dessen Weg ein Rahmen unwirklich schimmernder Stimmen säumt, der andere den Bänkelsänger, ein dritter denjenigen, der vom Morgenstern Träume keltert, ein vierter den Wiedererwecker der Schäferei, der Epigrammata in teutsche Alexandriner setzt, viele den Verkünder einer „Grünverschlossenen Botschaft“, den Verfasser des ,,Lilienweißen Briefes aus Lincolnshire“, aber auch österreichischer, Haiku, wieder andere den Kämpfer gegen Gleichgültigkeit, gegen die Schablonenmenschen, die unter den Masken von Biedermännern das Leben zernichten, den Mystikern, der hinter den Hügeln von Llundain zu leben lehrt, aber auch den Clown, der „My motherl was a weanerin“ singt. Bei H .C. Artmann ist man nie vor Überrasch ungen sicher. Wer weiß, was seine ,,Botanisiertrommel“ – und das ist schon wieder ein Buchtitel noch alles birgt? Erst vor kurzem hat er ein kostbares Erotikon, „Schatten hinan“, veröffentlicht, zu dem Markus Valazza zauberhaft kühne Illustrationen schuf. Wohin H .C. Artmann auf seinem Weg noch gelangen wird, läßt sich nicht abschätzen. Aber eines kann man von seinem Werk heute schon sagen: in ihm ist kein Mond, keine Wort zu viel. Es ist eine lustige Feldköcherei, ein Frühlingsfest scheinbarer Un-Ordnung, das in Wahrheit uralten kosmischen Gesetzen folgt.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1995