Gemalte und gezeichnete Literatur
Hans Fronius wurde am 12. September 1903 in Sarajevo geboren, just in jener Stadt, in der am 28. Juni 1914 Schüsse fielen, die den Untergang eines Reiches und die völlige Umgestaltung Europas bewirken sollten. Fronius‘ Vater, Nachkomme einer alten siebenbürgischen Gelehrtenfamilie, gehörte als Oberstadtphysikus von Sarajevo der höchsten österreichischen Beamtenschicht an, die Mutter entstammte der bekannten Wiener Künstlerfamilie Passini. In seiner 1978 erschienenen Autobiographie erinnert sich Fronius der fremdartigen bosnischen Umwelt. Die Diskrepanz zwischen dem wohlbehüteten, bürgerlichen Milieu einer kolonialen Oberschicht und der Rückständigkeit des bunten, nur an der Oberfläche romantisch anmutenden Balkanlandes wurde dem Knaben jedoch kaum bewußt. Das Attentat von Sarajevo, an dessen Panikszenen sich Fronius deutlich erinnert, beendete eine Kindheitsidylle. Noch vor Kriegsbeginn übersiedelte die Familie nach Graz, der Zusammenbruch von 1918 reduzierte die vormalige Wohlhabenheit auf bescheidene Verhältnisse. Bereits während der letzten Grazer Gymnasialjahre entstanden grafische Blätter, in denen sich eine der wesentlichen künstlerischen Leistungen Fronius‘ abzuzeichnen beginnt: die enge Verbindung zur Literatur, der Versuch, das Gelesene in Bildhaftigkeit umzusetzen. Ab 1922 studierte Fronius in Wien an der Akademie der bildenden Künste bei Karl Sterrer und Alois Delug. Hier hatte ein strenger, im 19. Jahrhundert wurzelnder Historismus überlebt, ein Anachronismus, dem gerade die nachfolgenden autoritären Systeme mit Sympathie begegnen sollten. Der Umbruch zur Modeme, zum formalen und inhaltlichen Experiment, war in Österreich ohne großen Widerhall geblieben. Fronius war nicht gewillt, den retardierenden Intentionen der Wiener Akademie zu folgen. Eine Zeit des Suchens begann. In der Kunstgeschichte mußte er fündig werden. Zu Goyas visionären Schreckensbildern empfand er eine tiefe Affinität. Grafiker und Maler wie Charles Meryon und James Ensor, weiters Edvard Munch und die deutschen Expressionisten wurden zu wichtigen Inspirationsquellen. In dieser Zeit der Selbstfindung wurde der Holzschnitt zum bevorzugten Medium. Von entscheidender Bedeutung war die Begegnung mit dem dichterischen Werk Franz Kafkas. 1925 entdeckte er eher durch Zufall „Die Verwandlung“, und die Umsetzung in den Holzschnitt sollte zu einem Schlüsselwerk in Fronius‘ Schaffen werden. Nahezu alle wichtigen Erzählungen und Romane Kafkas haben bereits vor dem Zweiten Weltkrieg das Interesse des Künstlers gefunden. (1983 hat eine umfassende Ausstellung allein dieses Thema dokumentiert.) Vorerst fand Fronius mit seiner Arbeit wenig Anklang. Kafkas Visionen absurder bürokratischer Strukturen wurden von den Zeitgenossen ebensowenig akzeptiert wie die adäquaten Illustrationen. Fronius blieb Einzelgänger. Einer der wenigen, die sein Talent erkannten, war Alfred Kubin. Die persönliche Freundschaft sollte durch Jahrzehnte bis zum Tode des Älteren währen. Kubin war es, der ihn in schwierigen Zeiten ermutigte, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. 1930 absolvierte Fronius die Lehramtsprüfungen für Kunsterziehung, Mathematik und darstellende Geometrie. Im oststeirischen Fürstenfeld fand er als Mittelschulprofessor eine sichere Existenz, die es ihm ermöglichte, seine künstlerischen Ambitionen weiterhin zu verfolgen. Eine Reise nach Prag brachte 1937 die Begegnung mit dem Freundeskreis des bereits 1924 verstorbenen Franz Kafka. Fasziniert bewunderten Max Brod und Johannes Urzidil Zeichnungen, aus denen der Geist des Dichters unmittelbar zu ihnen sprach. Eine von Kafkas Freunden vermittelte Ausstellung in Prag ließ Fronius erstmals Anerkennung zuteil werden. Wenig später legte sich ein brauner Schatten über Europa. Als Soldat in Rußland und Italien lernte Fronius den Wahnsinn des Krieges kennen. In den Tagen des Zusammenbruchs gelang die Flucht in die Schweiz. Ende 1945 kehrte er in das zerstörte Fürstenfeld zurück. Während des Krieges und in der Nachkriegszeit stand die spontane Zeichnung im Vordergrund. Der samtige Ton des Kreidestifts drängte das expressive Element in den Hintergrund. Und dennoch war Fronius niemals um die sklavische Wiedergabe des Naturvorbilds bemüht. Stets zwang er sich zur Reduktion des Erschauten, um einem Motiv, gleich ob es sich um eine Landschaft, um eine reale oder um eine erfundene Physiognomie handelt, das Typische, das spezifisch Individuelle in seiner vollen Schärfe zuteil werden zu lassen. Neben der regen Tätigkeit als Illustrator, die Fronius nach dem Kriege entwickeln konnte, ergab sich eine weitere Sparte literaturorientierter Grafik: Fast unübersehbar ist die Zahl der Theaterzeichnungen, die er durch fast zwei Jahrzehnte für die Programmhefte von Wiener Bühnen anfertigte. Ab den 50er Jahren finden sich in Fronius‘ Werk vereinzeit biblische Motive. Stets dominiert in diesen Bildern eine menschliche, allzeit gültige Aussage, die außerhalb enger konfessioneller Bindungen steht. 1961 übersiedelte Fronius in das niederösterreichische Perchtoldsdorf. Es ist eine Zeit, in der sich ein Wandel in seiner Kunst erkennen läßt. Der Holzschnitt, vor dem Krieg bevorzugtes Gestaltungsmittel, aber auch die Monotypie, wurden Fronius‘ Intentionen nicht mehr gerecht. Zu dieser Zeit fand er in der nahen Wiener Neustädter Lithografen-Werkstatt Rudolf Hausstein einen Betrieb, der seiner Beschäftigung mit der Lithografie besonders entgegenkam. In einigen Blättern hatte sich Fronius bereits vor dem Krieg als Radierer versucht. 1967 griff er dieses Verfahren wieder auf, das bis heute sein bevorzugtes druckgrafisches Metier darstellt. Aquatinta, Kaltnadel und Vernis mou, alle Feinheiten, die die Radierung einem Künstler anzubieten vermag, hat er sich in kurzer Zeit anzueignen verstanden. Die zahlreichen druckgrafischen Serien- und Mappenwerke sollen jedoch nicht den Blick auf die stets gepflogene freie Zeichnung und auf die in den letzten Jahren eine dominierende Stellung einnehmende Malerei verstellen. In der Malerei hat Fronius sein Verhältnis zur Farbe allmählich geändert. Die gedämpften, gebrochenen Farbtöne der früheren Bilder entwickelten sich zu lichtdurchfluteter Helligkeit und zuletzt zu vital-ungestümer Intensität. Der pastose Farbauftrag ergibt eine flimmernd-flirrende Oberfläche voller Unruhe, die dem Auge kein Verweilen an einem Punkt gewährt. Ein dynamisch-flackerndes Spiel der Farben gestaltet Raum und Form. Auch in der Thematik der Gemälde löste sich Fronius in den letzten Jahren von zuvor gewählten Beschränkungen. Die Stadtvedute oft in symbolisch-schicksalhafter Verfremdung nimmt neben der freien Landschaft den gleichen Rang ein wie die Porträtmalerei. Dem Auftragsporträt hat sich Fronius jedoch verwehrt. Für die Entstehung eines Bildnisses benötigt er eine unmittelbare persönliche Beziehung. Vielfach wurde versucht, Fronius‘ riesiges grafisches und illustratives Werk sowie sein malerisches Schaffen kunsthistorisch einzuordnen. Man definierte ihn als Vertreter einer hierzulande weit zurückreichenden Tradition, die expressive Gestaltungsmittel bevorzugt und in der Malerei einem sinnesfreudigen Kolorismus verbunden ist. Diese Versuche, Fronius einen Standort in der Kunstentwicklung dieses Jahrhunderts zuzuweisen, ließen ihn als Bewahrer eines sonst weithin verdrängten, literarisch motivierten Bilderrepertoirs erscheinen, als wichtigen Traditionalisten, dem in der konservativen Kunstlandschaft des offiziellen Österreichs besondere Wertschätzung zuteil wurde. Doch zu einer Überprüfung gerade dieser Beurteilung zwingen uns die letzten Werke von Hans Fronius… Radikal und sehr direkt“, so hat 1982 ein Wiener Kunstkritiker die kurz zuvor entstandenen Bilder von Hans Fronius bezeichnet. Mit Attributen dieser Art umschreibt man für gewöhnlich die ungestümen Anfänge junger Künstler in ihrem Ringen mit Zeit und Gesellschaft. Die künstlerische Aktualität von Fronius‘ letzten ÖIbildern beruht auf einer bemerkenswerten Annäherung von Standpunkten, die einstmals in der Kunstszene einander diametral gegenüber standen. Hatte man noch vor einem Jahrzehnt das Tafelbild für tot erklärt, so trat gerade in den letzen Jahren auch hierzulande eine Generation junger wilder“ Maler in den Vordergrund, die dem Primat der Farbe und besonders dem spontanen und expressiven Malen zu neuer Anerkennung verhalfen. Das Erzählende ist auf die bunten Leinwände zurückgekehrt. Die neuen Maler versuchen es mit Mythen, mit Psychologie und kräftigen Zitaten aus der Geschichte, sie müssen sich ihre neuen Bilderkosmen erst wieder erarbeiten. In Fronius‘ Denken sind Figuren stets lebendig geblieben, auch zu Zeiten, als eine frühere Avantgarde ihre durchaus legitimen Anliegen formulierte und dabei das Menschenbild aus der Kunst verdrängte. Fronius kann uns heute bei dem nötigen Brückenschlag zwischen den Generationen helfen. Seine Kunst wird stets den Einstieg in eine wichtige Tradition ermöglichen, seine Kunst transportiert aber auch Traditionen in eine Zeit, in der gerade wichtige junge Künstler sich retrospektiv zu motivieren suchen. Die Spontaneität des Maiens mag dazu über Generationen hinweg die Künstler verbinden. Hier erleben wir eine eigentlich gar nicht so verwunderliche Affinität zwischen Fronius und seiner wildbewegten Enkelgeneration. Sobald Kunst aus einem intuitiven Erleben der Welt erwächst und Sinnlichkeit gegenüber der sterilen Ratio der Vorrang eingeräumt wird, werden wir diese Kunst auch als „radikal und sehr direkt“ empfinden. Dafür sei Hans Fronius gedankt.