Hans Kupelwieser

Bildende Kunst

Laokoon in der hellen Kammer

Auch wenn die Wände fallen und sich Räume entgrenzen: Jemand betritt einen Raum und verlässt ihn wieder, der Raum und sein Gegenstand, vieles kann klassisch bleiben, der Skulpteur im Geiste Platons auch dann, wenn sich Dinge ändern. Etwa verliert sich die topographische Enge, Spekulationen machen sich breit, seit den sechziger Jahren kühn propagiert, so wie Jan Dibbels: „Man kann den Betrachter im Raum desorientieren, integrieren, man kann ihn klein und großmachen, man kann ihm den Raum aufzwingen oder ihn wieder von ihm wegnehmen …“ (1968). Als wäre man in eine ständige Manipulation geraten, die der Diskurs seit der Auffindung der Laokoongruppe für und wider die Sache immer wieder für sich in Anspruch nahm. Tatsächlich aber wurde nie so viel ,,desorientiert“ wie im letzten Jahrzehnt.
Die Vergabe des diesjährigen Würdigungspreises an Hans Kupelwieser bedeutet Würdigung für ein mehr als zehnjähriges Oeuvre, bedeutet aber auch Würdigung einer Arbeit, die im obigen Sinn um den Diskurs der Skulptur bemüht ist. Dieses Bemühen zeichnet sich bereits in den ersten Arbeiten ab, wenngleich noch nicht davon die Rede war, was Peter Weibel Ende der achtziger Jahre mit ,, … aus Gummi ein Foto, aus einem Foto eine Skulptur und aus Eisen Eisen …“ umschrieb. Gemeint ist ein Ablöseprozeß: als Skulpteur zum eindringlichen Fotografen der Industriewelt und umgekehrt.
Hans Kupelwieser wurde 1948 in Lunz am See geboren, besuchte die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt und seit 1976 die Hochschule für Angewandte Kunst, wo er 1982 abschloss. Seit dieser Zeit etwa beteiligt er sich an Ausstellungen, deren vielleicht wichtigste die derzeit (September 1994) in Vorbereitung befindliche im Museum für Angewandte Kunst sein wird: Trans-Formation.
Als Hans Kupelwieser 1983 erste frühe Arbeiten in der Galerie nächst St.Stephan und bei Krinzinger in Innsbruck präsentierte, war die Malerei am Zug, und so entstanden als Kompromiß? bemalte Reliefbilder; „Der starke Arm“, „Der Spazierginger“, alles ist bunt, aber auch literarisch, die Farbe, die Sprache, die vieles ersetzen muss. Ein Jahr später heißt seine erste Personale bei Winter in Wien und Düsseldorf ,,Das entwichene Leben. Skulpturen“, der Spaziergänger hat sich von der Natur abgewandt, der Ansatz ist ein deutlich anderer: Getriebenes Aluminiumblech, silbrig verwesen, man sieht sperrige Gestalten ohne anthropologischen Kontext, sie blenden einen gewissermaßen und geben sich so bewusst traditionslos. 1985 zeigte er vergleichbare Arbeiten in der Engelhornstiftung in München, abermals scheint sich ein kleiner Bruch vollzogen zu haben, auch wird es wieder literarisch: „Kann gefährlich sein“ oder ,,Fällt aus sich heraus“ es klingt wie eine Verwarnung an alles, was noch an klassischer Skulptur übriggeblieben sein könnte. Skeptisch auf der einen Seite, dann aber auch selbstbewusst, so wie es dem Medium der Skulptur in den achtziger Jahren erging, dessen Stellung sich festigte, erweiterte und an Aktualität gewann: Basel, Merianpark 1984, Szeemanns ,,De Sculptura“ in Wien, 1987 Münster usw.
1987 beteiligte sich Kupelwieser an der Europalia in Gent, 1988 an mehreren Ausstellungen und Projekten, z.B. „Freizone/Dorotheergasse“ in Wien oder ,,Balanceakte“ im Frauenbad in Baden. 1988/89 fand die vom Bonner bzw. vom Badischen Kunstverein zusammengetragene Ausstellung ,,Brennpunkt Wien“ statt, wo er Fotogramme und eine große Arbeit in Stahl zeigte. Archaisch dann 1989 Budapest ,,Land in Sicht“: klassisch wie die Laokoongruppe: ein Krieger liegt und einer fällt oder so ähnlich. „Frühlicht“ heißt 1989 eine Ausstellung in der Blau-Gelben Galerie. „Frühlicht“ in Anlehnung an Bruno Taots ,,Frühlicht“, 1920 bis 1922 als Beilage zu ,,Stadtbaukunst in alter und neuer Zeit“ in Berlin erschienen signalisiert neuerlich Aufbruchsstimmung: „Gläsern und hell leuchtet im Frühlicht die neue Welt auf. Es geht jetzt auch um Glas, um Transparenz, auch um Fotografie, um Asphalt und um Licht; es geht aber auch um Architektur und um Skulptur. Im selben Jahr war der Preis für Skulptur der Biennale von Venedig an Bernd und Hilla Becher gegangen. Hamish Fulton zum Beispiel sprach immer schon von seinen Arbeiten als
mentalen Skulpturen. Die Schnittmenge von Skulptur und Fotografie erhielt dann auch in diesen Jahren bald einen theoretischen Überbau.
1990 folgte eine große Personale mit Hubert Scheib! in der Secession. Im Katalog beschreibt Herbert Lachmayer: „Wie traditionelle Schwerindustrieprodukte stehen die Objekte im Raum herum oder im Eck. Kugelsegment, Brüstung, Kreisschablonen etc. sind-in materialspezifischer Gewichtigkeit-raumbestimmende Elemente, die eine gewisse Unnachgiebigkeit und Entschiedenheit demonstrieren …“ Puristisch wie die Metallobjekte sind auch die Fotogramme, wenngleich sich in der Fotografie immer eine gewisse Zugehörigkeit zum Imaginären Platz schaffen kann, auch wenn es scheinbar um industrielle Fertigungen geht. Im Zusammenhang mit den großen Metallarbeiten muss auch das Mahnmal für den Hammerpark in St.Pölten erwähnt werden. Es ist sicher seine wichtigste Arbeit im Bereich des sogenannten ,,öffentlichen Raums“ (siehe Abbildung auf der vorigen Seite). Die 2 Meter hohe und 4 Meter breite „Opferschale“, in die man eintreten kann, wurde vom Land Niederösterreich als Symbol für den Widerstand im Gedenkjahr 1988 in Auftrag gegeben. Die drei Öffnungen entsprechen 13 Namen der Widerstandskämpfer, über dem Eingang das Datum vom 13. April 1945. Strenge Form also gegen ein Minimum an Sprache, wobei die Form zugleich gegenständlich und abstrakt ist und in einem kleinen Bereich von Differenz etwas Unsachliches, Imaginäres zulässt.
„Lokalzeit Wiener Material im Spiegel des Unbehagens“, 1994 kuratiert von Peter Weibel. Es ist ein Blick auf die Kunstproduktion in Wien, präsentiert in weißen Kästen, jedem Kästchen entspricht ein Text: „Hans Kupelwieser arbeitet an der Sichtbarmachung der Widersprüche zwischen den einzelnen Disziplinen der Kunst wie Malerei, Fotografie, Skulptur, zwischen den verschiedenen Medien und vor allem zwischen der Realität und ihrer künstlerischen Umwandlung. Er kombiniert Realitätsebenen oder grenzt sie aus. Er verweist in seiner Kunst auf die Herkunft der Gegenstände aus der Realität und auf die Konstruktion der Realität durch ihre Gegenstände: Gegenständlichkeit wird identisch mit Abstraktem. Die Kunst wird zur Fiktion, zum Zufluchtsort der Realität. Selbstreferentiell, aber auch differentiell eignet er der Wirklichkeit stark künstlerische Züge und der Kunst stark realistische Züge an.“ Das lange Zitat sei abschließend gestattet, weil es – zumindest soweit mir bekannt – keine gedruckten Statements Hans Kupelwiesers zu seinen Arbeiten gibt, es aber doch die Sprache ist, auf deren Basis Kunstpreise vergeben werden.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1994