,,Poeta doctus“
Hans Raimund Hans Raimund wurde am 5. April 1945 in Petzelsdorf, Niederösterreich, geboren, studierte in Wien Musik, Germanistik und Anglistik und war Lehrer am Theresianum. Erste Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften ( etwa das putt, Podium, Lynkeus, die rampe, Wiener Journal usw.), in Tageszeitungen (Feuilletons in der Presse oder der Arbeiter-Zeitung) bzw. im ORF brachten ihm bald Mitgliedschaften des österreichischen PEN-Clubs, des österreichischen Schriftsteilerverbandes, des Literaturkreises Podium und der Redaktion der Zeitschrift das putt (ab 1980). 1981 wurde er bereits mit dem Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich ausgezeichnet und debütierte in der edition roetzer mit seiner ersten selbständigen Veröffentlichung, dem Kurzprosa-Band Rituale, dem 1983 in der Edition Maioli zu Wien der Lyrikband Schonzonen folgte. Damit ist auch der bisherige Kreis seines Schaffens in etwa abgeschritten: ein österreichisches Staatsstipendium für Literatur, das es ihm ermöglicht, als freier Schriftsteller in Triest zu leben, wird ihm im Jahr 1984/85 erlauben, ein Romanprojekt zu verwirklichen. Ein weiterer Lyrikband im Verlag Gras/ ist im Erscheinen. Zur Anerkennung durch die Förderung im Rahmen der Aktion ,,Wiener Autoren in Wiener Verlagen“ durch das Kulturamt der Stadt Wien tritt nun der Förderungspreis des Landes Niederösterreich.
Die in den Ritualen gesammelten Kurzprosastücke erweisen sich zu einem Teil noch als Stilübungen, die bei Raimund wie auch nicht vom späten und extremen Expressionismus geprägt sind: ,,Handadern hügeln blau aus der Haut“ heißt es da zum Beispiel einmal (S. 22), oder im Anfang einer Geschichte neckisch: ,,Cis ist keine Rieche, stillstarr wie keine Sehne, langsam wie keine Schmecke, berufen wie zu keinem Hören: Cis ist eine Taste“ (S. 58). Dennoch wird auch schon eine Abkehr von Manierismen deutlich, ein Zug zur Knappheit und Prägnanz, der nicht wie bei Jutta Schutting auf immer neu experimentelles Verhalten zur Sprache hinausläuft, sondern festen Halt in vordergründig glatten, aber tiefgründigen Stories findet, wie etwa der folgenden:
Wohlgebaut
Wenn wir morgens in der Dämmerung an dem alten Palais und den grauen Universitätsinstituten mit den schmutzigen Panoramafenstern vorbei in unseren Betonpark auf Rattenjagd gehen, mein Hund und ich, ist Leopold ein haariges Bündel athletischer Kraft, das mich an der Leine in den Tag hineinzieht, die nasse Nase am Boden, den Schweif zur Kerze gesteift, und mir zeigt, wie der Tag anzugehen ist. Wenn ich dann auf dem winzigen Wiesenflecken in der Mitte des Betonparks im Kreis laufe, um Leopold zum Laufen zu animieren, läßt er sich auf dem Asphalt auf seine Hinterläufe nieder und schaut mir erstaunt und zustimmend zu, mit einem Auge zwinkernd. Wenn ich schließlich aufgebe und außer Atem zu ihm zurückkehre, trippelt er gemächlich zum nächsten Baum und macht den obligaten dreibeinigen Handstand. Leopold ist ein Dackelschäfer oder Schäferdackel, wohlgebaut, appetitlich braun und schwarz gefleckt, sein Kopf ist vorn, sein Schwanz ist hinten, vorausgesetzt er läuft nicht nach rückwärts, was er auch kann. (S. 50)
Immer stärker ist Raimund dabei seine Ausbildung eine Stütze, und schon einige der frühen Prosastücke zeigen ihn auf dem Weg zu einem poeta doctus, wie er sich im Altmeister der Tiefgründigkeit, dem Argentinier Jorge Luis Borges, präsentiert, etwa ,,Mythologisch“ oder „Literarhistorisch“ aus dem Zyklus ,,Versuche zu trauern“. Vollends poeta doctus ist Hans Raimund in seinem Lyrikband Schonzonen, etwa, wenn er an Bildungserlebnisse anknüpft, wie an die Begegnung mit dem surrealistischen Maler Magritte: „Liebe / umhüllt meinen Kopf / mit weißen Tüchern…. Aber durch / Kleider, Wände, Tücher / hindurch / / erkennen / einander die Liebenden / mit Lippen und Zungen.“ (,,Les Amants“, S. 45) Auch literarische Allusionen sprechen, so im ,,Rainlied“: ,,Unter bunteren / Blumen ruht / der Drudenfuß, / / jenseits blonder / Weizenfelder, / inmitten der Winden, / / dicht bei den Staub- / stielkamillen, / den mohnroten / / Schlaffallen..“ eine ehrlichere Reinstrumentierung von Weinhebers ,,Im Grase“ (S. 71). Nur einer der auf dem Weg ,,über die Dörfer“ wieder Jessenin begegnet ist (S. 64), kann wieder ein April-Lied singen: ,,APRIL, APRIL / / dreht’s Weil / ins Wenn, / und falls / ’s wer glaubt / so wird er wie / / April, April, …“ (S.60). Ein ,,Lichthofsonntag“ ruft Lewis Caroll, den Autor der Alice im Wunderland, an, um der Lichthofkindheit gerecht zu werden (S. 53), ein Gedicht ,,Ich“ hat den Paralleltitel ,,Caliban“ nach dem Tiermenschen in Shakespeares Sturm (S. 29) usw. Gerade diese Selbstzurücknahme in die Häßlichkeit ermöglicht aber die Entfesselung der Ästhetik, etwa im „Frühen Porträt“:
Mein Blut ist in die
Gedanken gestiegen.
Mein Herz ist müde,
ist müde und ruft.
Mein Blut pulst
in engen Gedanken.
Mein Herz ist müde
ist müde und klagt.
Mein Blut ist in den
Gedanken versickert.
Meine Lippen sind müde,
sind müde und sinken
ins Schneefeld, tief
in mein Gesicht. (S. 39)
Daß da einer wagt, mit Refrains, mit Anaphern und dem ganzen fast vergessenen Instrumentarium der klassischen Rhetorik zu arbeiten, kann in der momentanen Trockenheit gerade der lyrischen Brunnen nur hoffnungsvoll stimmen.