Wortmusiker und Augenmensch
„Es ist schon, dass sich unsere Lebenswege immer wieder kreuzen“, sagte Hans Raimund zum Abschied zu mir. Wir hatten eine gute Stunde miteinander gesprochen ein ruhiges, entspanntes Gespräch, das zum Teil auch die Grundlage dieses Artikels bildet. Ich war Hans Raimund erstmals im Jahr 1978 bei einer Lesung im Wiener Afro-Asiatischen Institut begegnet. Obwohl jeder der anwesenden Autoren nur zwei oder drei Gedichte vortrug, blieb mir sein Text „Warten“ (später in den ersten Lyrikband Raimunds, Schonzonen, Edition Maioli, 1983, aufgenommen) über die Jahre hin in Erinnerung:
Warten auf den, der nicht mehr kommt,
Aug in die Tür eingerastet,
Ohr weit vorgeworfen,
dem entgegen, der nicht mehr kommt.
So beginnt das Gedicht, in dem das Abstraktum „Warten“ durch die Sprachkunst des Autors gleichsam zu einem plastischen Gebilde wird, das er von allen Seiten betrachtet. Schon in diesem frühen Text zeigen sich Raimunds Bildkraft und Genauigkeit, seine rhythmische und klangliche Sicherheit und die existentielle Tiefe, die seiner Lyrik zu eigen ist. Das Gedicht nimmt eine überraschende Schlußwendung und endet so:
Warten, das Wort vergessen,
den vergessen, der nicht mehr kommt,
die Erinnerung an den vergessen,
der nicht mehr kommt.
Platz machen für den Unerwarteten.
Zehn Jahre später haben mein Kollege Franz M.Rinner und ich Raimund eingeladen, in unserem Kleinverlag Edition Umbruch einen Gedichtband herauszubringen. Hans Raimund, der damals (von 1984 bis 1997) in Duino bei Triest lebte, weitab vom österreichischen Literaturbetrieb, schickte uns eindrucksvolle Gedichte, die 1989 unter dem Titel Der lange geduldige Blick erschienen und für einen Lyrikband und ein Kleinverlagsprodukt in den Medien (01, Die Zeit, Neue Zürcher Zeitung, Salzburger Nachrichten, Die Presse etc.) erstaunlich viel Beachtung fanden. Die Rezensenten waren einhellig der Überzeugung, dass hier ein eigenständiger Autor spricht, der mehr Öffentlichkeit verdiente. In vielen Gedichten des Bandes erkundet Raimund die Landschaft seiner Triestiner Lebenswelt, sprachgenau, dicht und immer auch (selbst-)kritisch:
Für das Blühen des Ginsters im Karst
voll Ungeduld erwartet
hast du kein Auge gehabt
kein Ohr für das Getöse der Vögel
im wetterschrägen Spalier der Olivenbäume
keine Nase
für den Rauch brennenden Unkrauts
jäh aufsteigend
aus eben gejäteten Gärten
Raimund ist ein Augenmensch, der die Dinge so beschreibt, daß der Leser oft den Eindruck hat, sie wie zum ersten Mal wahrzunehmen; als Musiker, der er aber ebenso ist (er studierte Klavier, Komposition und Dirigieren), faßt er die optischen in klangliche Bilder, bettet sie in Rhythmen, die dem Thema des jeweiligen Gedichts gerecht werden. Auch wenn er selbst vom Vorrang der Sprache gegenüber dem Inhalt spricht, ist bei ihm die Form eines Gedichts nie Selbstzweck-sie ist immer mit dem Gegenstand untrennbar verwoben.
Hans Raimund wurde 1945 in Petzelsdorf bei Purgstall an der Erlauf geboren. Er wuchs in Wien auf, wo er später auch 12 Jahre lang als Gymnasiallehrer arbeitete. Durch ein Wochenend- und Sommerhaus im Waldviertel, die jahrelange literarische Veranstaltungsarbeit für den Verein „Drosendorf aktiv“, seine Redaktionstätigkeit für die St.Pöltner Literaturzeitschrift „das pult“, die Mitgliedschaft beim Literaturkreis „Podium“ und die Publikation in niederösterreichischen Verlagen (neben der Edition Umbruch auch im Badener Verlag Grasl, wo Raimunds zweiter Lyrikband, Auf Distanz gegangen, 1985 herauskam) war und ist der Autor mit Niederösterreich auf vielfältige Weise verbunden. 1981 erhielt er den Anerkennungspreis, 1984 den Förderungspreis des Landes; 1991 wurde er für seine Übersetzungstätigkeit mit dem Wystan-Hugh-Auden-Übersetzerpreis der NO Gesellschaft für Kunst und Kultur ausgezeichnet. 1994 bekam Raimund den renommierten Georg-Trakl-Preis für Lyrik. Und nun wird dieser Autor der nie literarische Moden mitgemacht, sich im Gegensatz zu anderen nie in den Mittelpunkt gedrängt hat- mit dem Würdigungspreis des Landes geehrt.
Raimunds Gedichte, Kurzprosa und Essays verlangen aufmerksame Leserinnen und Leser. Auch wenn der Autor sagt, dass sein Schreiben die Suche nach Kommunikation beinhalte, dass er verstanden werden wolle, erschließt sich nicht jeder Text sofort. Die Texte sind nuancen- und facettenreich, man spürt die genaue, langsame Arbeitsweise, die dahintersteht. Manchmal entstehen aus Einzelwörtern oder Tagebuch-Notaten Gedichte, die wieder und wieder umgeschrieben werden. Im neuesten Band, der Lyriksammlung Porträt mit Hut (Otto Müller Verlag, Herbst 1998), gibt es Gedichte, deren Urfassung zwanzig Jahre zurückreicht. So schreibt keiner, der den schnellen Erfolg sucht.
Eine Zeitlang war es fast schon ein Klischee, von Hans Raimund als einem der wichtigsten „Unbekannten“ der jüngeren österreichischen Literatur zu sprechen; Erich Hackl z.B. nannte ihn „von Osterreichs missachteten Autoren einen der bedeutendsten“. Ganz so unbekannt ist Raimund nun glücklicherweise nicht mehr, wenn auch seine Bücher nie in die Bestsellerlisten kommen werden; Hans Raimund hat sich als freischaffender Schriftsteller den kleinen Formen verschrieben, und die Konsequenz seiner Arbeit ist bewundernswert. Beim Durchstudieren der gesammelten Rezensionen und Würdigungen seines Werks fällt jedoch auf, dass Raimunds Bücher von Anfang an – 1981 erschien der Kurzprosaband Rituale (Edition roetzer) eingehend besprochen wurden. Über die bereits erwähnten Titel hinaus publizierte er im Wieser Verlag die Prosasammlung Trugschlüsse (1990) und die vielbesprochenen Gedichtbände Kaputte Mythen (1992) und Strophen einer Ehe (1995), eine Sammlung von Liebesgedichten (für seine Frau Franziska), deren formale und atmosphärische Vielfalt beeindruckt. „Hans Raimund verfügt über eine Vielzahl lyrischer Stilmittel und Verfahren“, schreibt Karl-Markus Gauß im Nachwort zum anlässlich des Trakl-Preises erschienenen bibliophilen Auswahlband Du kleidest mich in Licht, „ihm steht die äußerste Verknappung ebenso zu Gebote wie die ausschwingende epische Geste; das Spiel mit der Sprache, das er so virtuos beherrscht, ist ihm nicht Selbstzweck, sondern eine Art von spielerischer Inventur der eigenen sprachlichen Fähigkeiten und Überprüfung dessen, was im Gedicht noch sagbar ist.“ Und das ist bei Hans Raimund viel- vom Philosophisch-Abstrakten über Traumsequenzen und die Auslotung zwischenmenschlicher Erfahrung bis hin zum „Ding“, das im Gedicht zu sprechen beginnt.
Vögel
dringen ein
in meine Kammer
nachts
morgens
wenn die Nebel an den Simsen hängen
sind flügge
Wörter