Harry Kühnel

Sonderpreis
Denkmalpflege

Dialog mit den Menschen

Drei Schwerpunkte bestimmen das Lebenswerk des Kulturbeamten, akademischen Lehrers und Forschers Dr. Harry Kühnel: Denkmalpflege/Althaussanierung, Ausstellungen und das Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie sind miteinander eng verbunden, ihre Grenzen sind fließend, die Arbeit an ihnen und in ihnen ist interdisziplinär, wie es der Vielseitigkeit des Historikers und Kunsthistorikers entspricht.
Kühnels Ruf reicht längst weit über die Grenzen Österreichs, ja Europas hinaus. Seine Heimat, obwohl er in Wien geboren wurde (1927), ist Niederösterreich und im Besonderen die Stadt Krems, der sein langjähriges Wirken gilt und die ihm dankt, dass sie sich wieder als ein Juwel historischer Architektur präsentiert.
Man kann nicht sagen, der Weg in die alte Stadt in der Wachau sei ihm vorgezeichnet gewesen. Mit einem leisen Lächeln erinnert er sich heute, wie er nach der Matura das devastierte Stift Göttweig besucht und hinunter geschaut hat auf Krems das er dann doch nicht besuchte. Nach der Promotion arbeitete er in verschiedenen Archiven, befasste sich mit vielen Themen von der Wiener Hofburg bis zur Medizingeschichte. Eines Tages im Jahr 1957 riet ihm sein Lehrer, der große Historiker Alphons Lhotsky, sich um die ausgeschriebene Stelle des Leiters der Kulturverwaltung in Krems zu bewerben, und er erhielt sie. Interesse und Pflichtbewusstsein veranlassten ihn gleicherweise, sich „die Stadt zu erarbeiten“ und er entdeckte „eine herrliche Bausubstanz, aber verwahrlost und teilweise noch unerkannt“.
Die Erforschung. Restaurierung und Neubelebung wurde sein Ziel. Auf dieser Grundidee basierte schon die erste Ausstellung „Gotik in Niederösterreich“ in der Minoritenkirche, 1959. Verbunden mit der Platzgestaltung und der Fassadenaktion wurde sie auch zum Anstoß für eine Bewusstseins Änderung in der Stadt und über diese hinaus.
Fast gleichzeitig erweckte im selben Jahr die „Gozzobrg“ seine Aufmerksamkeit: Sie wurde „ein wahrer Haupttreffer“. identifiziert als Stadtpalazzo des 13. Jahrhunderts, unter Zisterzienser-Einfluss errichtet, ein Zeugnis urbaner mittelalterlicher Profanarchitektur, das seinesgleichen sucht.
Ein zweiter Höhepunkt folgte dann in Verbindung mit der grandiosen Ausstellung „Gotik in Österreich“, die 1971 im Dominikanerkloster gezeigt wurde. Die 1969 begonnene Erforschung. Restaurierung und Sanierung von Kirche und Kloster erbrachte auch die Entdeckung des Kreuzganges und damit eine Neubewertung des großartigen Bauwerks. Der Fund, für die Stadt auch von historischer Bedeutung. zeigte er doch eine in dieser Form andernorts nichtexistierende südländische Architekturform, führte zur Wiederherstellung: Diese Rekonstruktion mit Ergänzungen, aber ohne Fälschungen sah Harry Kühnel als „besondere Verpflichtung für die Stadt“, der Rechnung getragen wurde.
Etwa zur selben Zeit, 1969, habilitierte er sich an der Universität Salzburg. Im selben Jahr erfolgte die Gründung des Instituts für Realienkunde, als dessen Direktor Kühnel seither eine Vielzahl von Forschungsprojekten durchführen konnte. Ihm widmete dann die Stadt Krems den finanziellen Überschuss der überaus erfolgreichen Gotik-Ausstellung: ein weiteres Zeichen für die Verflechtung der drei Bereiche Denkmalpflege, Ausstellungen und Forschung.
Die Altstadtsanierung hat in den Jahren von Kühnels Wirken ein Ausmaß erreicht, das der Stadt 1975, im Jahr der europäischen Denkmalpflege“ höchste internationale Anerkennung brachte: Krems wurde vom Europarat als Modellstadt geehrt und beherbergte den großen Europaratskongress.
Die psychologische Grundlage dieser Altstadtsanierung war eine Bewusstseins Änderung der Kremser Bevölkerung, nicht zuletzt der Hauseigentümer. Finanzielle Unterstützung, etwa der Anreiz durch zinsenlose Darlehen spielte gewiss eine Rolle, noch entscheidender aber war der Dialog mit den Menschen: „Wir sind zu den Leuten gegangen, ohne etwas vorauszusetzen,“ erinnert sich Kühnel. Stadt, Land und Bundesdenkmalamt schufen gemeinsam das nötige Instrumentarium und teilten sich die Kosten.
Bis zum Ende der achtziger Jahre konnten so 396 der insgesamt 752 Häuser der Altstadt restauriert, ein Teil auch der nötigen Sanierung unterzogen werden.
1976 wurde das Zentrum für praktische Altstadtsanierung und Ortsbildpflege gegründet. Es veranstaltet nun jährlich zwei Seminare zu speziellen Fragen, von der Platz gestaltug bis zu den Technologien, von Dächern und Fenstern bis zur Beleuchtung. In jüngster Zeit sind die Oberstufen der einschlägigen Höheren Technischen Lehranstalten, insbesondere der Kremser HTBL, einbezogen. Bis heuer wurden bereits 26 derartige Seminare durchgeführt, unter ihnen zwei internationale. Der Verein zur Förderung der Erneuerung von Krems, dessen Geschäftsführer Professor Kühnel ist, hat eine Reihe von Aktivitäten gesetzt. So besitzt er auch die Ruine Rehberg, die zurzeit wissenschaftlich erforscht wird.
Das Institut für Realienkunde, das 1989 sein 20-Jahr-Jubiläum feiern konnte, hat den Namen Krems in der internationalen Forschung großgemacht. Im Rahmen der Erforschung der Kultur der donäuropäischen Gebiete konnte das Projekt Slowakei abgeschlossen und der böhmisch-mährische Raum in Angriff genommen werden. Für 1995 wird in Zusammenarbeit mit der Landesakademie und dem deutschen Verband der Mittelalterforscher eine Sommerakademie vorbereitet, die sich mit der ambivalenten Kultur des Mittelaltersauseinandersetzen wird. Daraus könnte eine Dauerinstitution werden: zweijährig und als Post-graduate-Veranstaltung.
Aber auch die Vorbereitungen für das Ostarrichi-Jahr 1996 sind schon im Gange: eine Gesamtdokumentation der Geschichte, Kunst und Kultur dieses Jahrtausends entsteht, nicht nur für Universitäten und Hochschulen, Museen und Bibliotheken gedacht, sondern auch für die Höheren Schulen sowie die österreichischen Kulturinstitute und Handelsdelegationen in aller Welt.
Spiritus rector all dessen ist Uni. Prof. Harry Kühnel, der Denkmalpfleger, Forscher und Ausstellungsgestalter, der neben den vielfaltigen Aufgaben noch Zeit findet, Bücher zu schreiben und andere Publikationen zu veröffentlichen, der viel selbst tut und noch mehr anzuregen und zu inspirieren versteht. Der das Vergangene kennt, das Bleibende pflegt und dessen Geist in die Gegenwart und in die Zukunft hineinwirkt.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1993