Gelassenheit und Perspektive
Wer in Puchberg am Schneeberg das Wiesenhaus von Heinrich Eggerth betritt, mag vielleicht an Herrn Heinrich erinnert werden, wie er ,,gar froh und wohlgemut“ am Vogelherd saß oder im Garten Mist häufelte, als er die Krone angeboten bekam. Freilich, bei jedem weiteren Schritt in Heinrich Eggerths Besitz, Leben und Werk wird es schwierig, seine Wohlgemutheit“ mit anderen, zumeist entgegengesetzten Eindrücken in Übereinstimmung zu bringen. Die vier Silberpokale für den Schiläufer Heinrich Eggerth, die in einer Bibliotheksecke mehr ab- als aufgestellt sind, lassen sich ja noch zwanglos mit der bewegungstherapeutischen Munterkeit in Einklang bringen. Dann aber fällt der Blick auf den Schreibtisch, wo ein Band der Tusculum-Reihe liegt. Das Lesezeichen darin beweist, daß es mein Gastgeber, von mir aufgestört, soeben weggelegt hat. Ich Iese den Titel diese Buches aus der Sammlung griechisch-römischer Literatur: Res gestä Divi Augusti. Auf die Frage, ob er ein literarisches Projekt habe, dessen Gegenstand Kaiser Augustus oder dessen Epoche sei und ihn zwinge, dieses komplizierte Material aufzuarbeiten, antwortet er: ,,Keine Spur davon. Ich brauche solche Art der Lektüre. Für die Gelassenheit. Für die Perspektive. Man hält dann manchmal besser durch.“ So ist es also um den leidenschaftlichen Segler, Gärtner und Wanderer Heinrich Eggerth bestellt! Pfarrer Joseph Spreitzhofer1) vergleicht ihn mit einer Zwiebel, die aus zwei Schichten besteht einer äußeren satirisch-ironisch-jugendlichen und einer inneren Zone, welche unter diesem Schutz das eigentliche für die Blütenauferstehung bestimmte Blattgewebe enthält: Den vom Eschatologischen berührten, ja ergriffenen Menschen Heinrich Eggerth. Auch die Bibliothek legt davon Zeugnis ab. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsen, reicht sie von der Antike bis zur modernen Musiktheorie, welche auch der mathematischen Komplikation nicht aus dem Wege geht. Es ist ein Faktum, daß es eine vergleichbare Bibliothek außerhalb der Klöster in Niederösterreich wohl nur selten gegeben hat, und daß man bis ins 16. Jahrhundert auf die niederösterreichischen Adelssitze zurückgehen muß, will man eine solche Bibliotheksstruktur als Bildungsnorm wiederfinden. Wie aus Otto Brunners klassisch gewordenem Werk ,,Adeliges Landleben (Niederösterreichs) und europäischer Geist“ hervorgeht, wirkte beim Edelmann Niederösterreichs die Universalität europäischer Bildung jeder Polarisierung von Stadt und Land entgegen. Was ehemals der Stolz im Adelssitz gewesen ist, finden wir nun in einem Blockhaus. In Heinrich Eggerth würdigt das Land Niederösterreich Werk und kulturelle Leistung eines hervorragenden Autors, der zugleich einen neuen Typ des Kulturschaffenden im regionalen Bereich verkörpert. Als geborener Niederösterreicher, (geboren in Annaberg 1926), in vielen Orten des Wald- und des Weinviertels als Lehrer tätig, bis er 1954 an die Hauptschule nach Puchberg am Schneeberg kam, verbindet er das Weitläufige mit dem Seßhaften, die Internationalität der europäischen Gesamtkultur mit dem Konkreten einer in allen Nuancen erfaßten Region. Symptomatisch für diese Brückenfunktion ist, daß die Kulturzeitschrift, welche der Chefredakteur Heinrich Eggerth in den 70er Jahren herausgebracht hat, ,,lntergration“ hieß. Dieses Wort markiert aber den ganzen Lebensweg von Heinrich Eggerth. Seine Geisteshaltung und seine Arbeiten sind beispielhaft dafür, wie sich das Lebensgefühl und das Selbstverständnis im regionalen Bereich in diesem Jahrhundert geändert hat. Sozusagen von Geburt aus, das heißt durch die Freundschaft seines Vaters, eines Schuldirektors, mit den drei großen .S“ Niederösterreichs, mit Friedrich Sacher, Walter Sachs und Wilhelm Szabo, stand Heinz in Beziehung zu den Trägern des Würdigungspreises einer anderen Generation. Was noch Wilhelm Szabo (geb. 1901) zum Problem wurde, die Verfremdung der Heimat durch sich selbst, durch ihre unterschwellig dumpfe Dämonie, die sich dem integrierenden und kritischen Denken verwehrt, solche Barrieren sind heute tausendfach durchlöchert oder bereits eingebrochen, zufolge des elektronischen Informationsflusses und der größeren Mobilität. In Heinrich Eggerths innerer und äußerer Entwicklung spiegelt sich der besonders in der zweiten Republik beschleunigte Angleichungsprozeß zwischen Stadt und Land. Viele jener Konfliktstoffe, deren Zeuge und Leidtragender das Kind und der junge Lehrer Heinrich Eggerth gewesen ist, konnten einigermaßen ausgeräumt werden. Es gehört zum ironischen Konzept des Romans ,,Simplicius 39/45″, zu jener Ironie, welche aus diesem Roman, wie Albert Janetschek2) sagt, ein Kunstwerk macht, daß die Kriegsfurie einiges zur Integration beigesteuert hat. Macht ja die Uniformierung keineswegs beim Waffenrock halt. Auch der dann folgende ,,Aufbau“ nivelliert, gleicht aus, und zwar zumeist auf der niedrigsten und bequemsten Schichtenlinie. Seit 1954 kommentiert, beobachtet und durchleuchtet Heinrich Eggerth in den Neuen Wegen diesen Prozeß. Als Dichter um Gestaltungformen ringend ist er nun freilich in die literarischen Strömungen selber einbezogen, doch ist in allen Phasen des Experiments und der Wandlungen der Wille spürbar, ,,am Ufer der Ereignisse“3) zu bleiben, das heißt, sich von keiner modischen Strömung mitreißen zu lassen, er ist daher, wie Peter Reutterer4) dargelegt hat, weder mit dem Forum Stadtpark noch der Wiener Gruppe in Verbindung zu bringen. Am ehesten ist es noch die Gruppe 47, mit der er einige Gemeinsamkeiten aufweist. Wie man sieht, macht Heinrich Eggerth der Klassifikation Schwierigkeiten, weil er nicht modernistisch, sondern modern ist. Die Integration erfahrungspraller Jahrzehnte und eines durchlittenen Lebens führen schließlich dazu, daß seine große Begabung für Jux, Witz und Satire sich immer mehr sublimiert, und zwar zu einer Ironie, fernab aller verbalen Rache, jedes mutwilligen Verätzens glatter und schöner Oberflächen und jeder hochmütigen Besserwisserei. Aus einer Ironie, die verlacht, wird eine lronie, welche zulächelt. Aus einer Ironie, die angreift, wird eine, die schont, schützt und bewahrt. Solche Ironie ist nicht mehr Säure, sondern Überfangglas wie bei Jean Giraudoux, zu dem Heinrich Eggerth eine starke Beziehung hat. Geben wir es ruhig zu, daß Eggerths Ironie oft nichts mehr zu bewahren hat als den Zweifel, aber dieser Zweifel verbürgt gewissermaßen als jungfräuliche Unentschiedenheit einen kostbaren Zustand geistiger Reinheit und Unbescholtenheit, denn Heinrich Eggerth fühlt sich nicht berechtigt, im Match der Weltanschauungen einen Arbiter mundi abzugeben. Er beschränkt sich darauf, die outs und faults abzuwinken, ein ,,alt“-europäisches-erasmisches Geschäft, das in ,,Länderspielen wie diesen“ höchste Achtung und Anerkennung verdient. Als ein solcher Linienrichter mahnt uns Eggerth in einem Gedicht. ,,lernt Geschichte… Aus der Geschichte könnt ihr alles lernen, was ihr vergessen müßt … „5) So also wandelt sich Eggerths Ironie in eine sokratische Pädagogik, fähig, alle eilfertigen Überzeugungen und voreiligen Abstraktionen hintanzuhalten. In der Sphäre der Ironie blättern Feindbilder sehr leicht ab. Anti-Positionen erweisen sich als nicht haltbar. Der Europäer Eggerth ist kein Antiprovinzialist, obwohl er mancherlei Satirisches gegen provinzielle Einengung geschrieben hat, denn in der ironisch gesäuberten Luft holt man sich keine geistigen Allergien. Wir können das alles jetzt praktisch bei Schullesungen Eggerths miterleben, wenn die Ironie seines ,,Simplicius“ wirksam wird. Denn jenes Gegen-etwas-Sein“, dieses wackelige Baugerüst des Nein, hinter dem die Person, und zwar eine grundfalsche Person, aus Fertigteilen betoniert werden soll, bläst Eggerth lustig um. Simplicius enthält einen sehr klugen Geschichtsunterricht über den Zusammenhang von Sexualität und Tod, Brutalität und Liebe, Mann-werden und Selbstverdummung. Ist es denn heute gar so verschieden zu damals? Die vorgefertigten Mechanismen“, wie Ilse Tielsch7) es nennt, sind heute anders getarnt, aber sie spekulieren auf die selben Mechanismen unserer Natur. Wie Heinrich Eggerth beweist, muß man kein Schriftsteller der Großstadt sein, um ,,ein hellhöriges Organ für Dissonanzen, Halbwahrheiten, Krisen und Wagnisse des Jahrhunderts, für das schrumpfende Menschentum im technischen Taumel“8) zu besitzen, wie Johannes Twaroch unseren Dichter charakterisiert. Man muß aber doch offensichtlich dauernd eingebunden sein in die Primärwelt der Vegetation und der geologischen Urgegebenheiten (dem Urgestein zieht Eggerth den Kalk vor, er sehnt sich nach grünen Bächen und Kalk), soll der Weg der Ironie nicht im Kabarett- und Cafeliteratentum enden, sondern sich, wie bei Eggerth, in der Poetischen Ironie öffnen, die es erlaubt, die traditionellen Stilmittel der Metapher, der Personifikation und der Antithese bis ins Surreale und Absurde zu steigern. Worte fallen neben die Dinge. Es ist nichts betroffen …9) heißt es in einem Gedicht. Aber Eggerth vermag es, Worte so haarscharf neben den Dingen vorbeifallen zu lassen, daß die Dinge mit den Wimpern zucken und einen kleinen Schrei von sich geben, Beweis ihres verhüllten innerlichen Lebens, das fühlbar zu machen, Sinn und Glück aller Poesie ist Was im Höhenbereich der Weisheit schon immer einleuchtete, nämlich der mystisch-paradoxe Zusammenhang von Glauben und Ironie, wie ihn etwa die über ihr Klimakterium lachende Sarah im Augenblick der Verkündigung erlebt, das ist es, was der Ironiker Eggerth als Ziel vor sich sieht, ob er nun erweckende Gedichte oder Texte für rhythmische Messen schreibt oder Simplicius wieder wandern läßt durch die Zeit, in der immer irgenwo Krieg ist. Und wenn Pascal sagt, daß das Herz Gründe hat, welche der Verstand nicht kennt, so ergibt sich aus unseres Dichters Werk, daß der Verstand durch den Mut zu Dialektik auf Abgründe hinweist, wo nur das Herz weiterhelfen kann und seine erlösende Kraft erst ganz sichtbar wird