Heinz Cibulka

Medienkunst
Künstlerische Fotografie

Fotografische Bildgedichte

Wenige Künstler haben wie Heinz Cibulka der Umgebung, in der sie leben, so unverwechselbare Denksteine gesetzt. Seihe fotografischen „Bildgedichte“ liefern den Beweis dafür, dass die künstlerische Beschäftigung mit dem eigenen Lebensbereich, dessen gewachsenen Strukturen, seinem Rhythmus im Jahresablauf, dem Stoffwechsel“ von Mensch, Tier und Pflanze neue Einsichten und Ausblicke bewirken kann und nicht in sentimentaler Wiederholung kitschiger Klischees steckenbleiben oder zu trockener Dokumentation von Fakten verdörren muss. Seine Verbundenheit mit der Gegend von Weinviertel, Stammersdorf und Bisamberg ist eine ganz bewusste vielleicht durch die Tatsache, dass er sie sich erst geistig erobern musste, viel enger, weil weniger selbstverständlich, als wenn er bereits hier aufgewachsen wäre. Er selbst schreibt: ..In Wien geboren und als Städter aufgewachsen, hatte ich, angeheizt durch meinen breit ausladenden Wahrhaftigkeitsdrang, ein heißblütiges Verhältnis zum bäuerlichen Leben entwickelt. Ich sah besonders hier das Einfache, die große Form und die Struktur wesentlichen Lebens.“ Hier empfing er die Eindrücke, die es künstlerisch zu verarbeiten galt: „Ich sammelte Einzelteile aus diesem Bereich, deren Purheit und Strahlkraft ich stark empfand, die ich als Assoziationspunkte in einem pointilistischen Gestaltungsgefüge schaustellen wollte.“
Diese „Sammlung der Einzelteile“ betreibt Heinz Cibulka fast ausschließlich mit der Kamera: Das einzelne Foto steht für einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit; weder technische Perfektion noch gesuchte kompositorische Gestaltung werden angestrebt, aber: „Ein intensives Verhältnis zur bildgedachten Situation ist Voraussetzung für einen Belichtungsakt. Ich versuche, in den Mittelpunkt der Konstellation zu gelangen, mit der Hoffnung, einen Gutteil dessen, was mich berührt, auf mein Negativ hin zu übersetzen.“ Diese Überzeugung führt dazu, dass Cibulka für jede seiner Serien von Bildgedichten“ lange und intensiv Material zusammentragen muss ganz im Gegensatz zu jenen, die ihr oberflächliches Wissen um ländliche zusammenhänge hinter der perfekten Ästhetik von Kalenderfotos verstecken.
Die nicht unbedingt immer im Hinblick auf ein einziges Projekt gemachten Aufnahmen setzt Cibulka zu Bildern mit je vier Fotografien zusammen, aus diesen Blättern wieder bildet er mehr oder weniger festgefügte Serien, die dann in ihrer Gesamtheit ein bestimmtes Thema, einen bestimmten Aspekt seiner Umgebung beleuchten: Jedes Bildelement, jedes Einzelfoto wird zu einem bildsprachlichen Satzteil. In Verbindung mit anderen Satzteilen ergibt sich ein Satz… Die Vermählung der verschiedenen Einzelteile zu einem Blatt unterliegt im Prinzip den Grundsätzen bildnerischer Arbeiten.“
Heinz Cibulkas Seh- und Arbeitsweise hat sich nicht aus einer Beschäftigung mit Fotografie entwickelt. Als junger Mann traf er Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler, Günter Brus und Peter Kubeika und nahm teil an deren Aktionen und Projekten. Er hat diese seine Wurzeln stets als ausschlaggebend erkannt: „Wie für viele andere, zumeist jüngere Künstler im In- und Ausland, sind von hier aus, auch für mich, schon allein durch die Heftigkeit ihrer künstlerischen Tätigkeiten, entscheidende Impulse bei der Entwicklung eigener Arbeiten wirksam geworden… Die Haltung, Dinge und Situationen aufzunehmen, die Strahlkraft der registrierten Objekte, von Meinungen gesäubert und aus Bedeutungsverbänden herausgeschält, direkt empfinden zu wollen, hatte mich geprägt.“ Diese Offenheit, dieses unbedingte Aufnehmen von Gesichts-, Geruchs- und Gehörseindrücken, die das menschliche Leben begleiten, hat Cibulka nicht nur ermöglicht, spannungsreiche Einblicke in die Welt des „Weinviertels“, „Bisambergs“ oder von „Stammersdorf“ zu geben wie seine frühen Zyklen heißen, sondern auch weit über das rein persönliche Erleben hinausreichende Arbeiten über so komplexe Themen wie „Hochzeit“ oder „Gebären“ zu bewältigen. Die assoziativ nebeneinander gesetzten Einzelfotos konfrontieren uns mit einer Fülle von visuellen und thematischen Bezügen zwischen Tier-, Pflanzen- und Menschenwelt, zwischen symbolisch besetzten Motiven und Gegenstücken aus trivialen Bereichen. Das auch im 0. M. Theater von Hermann Nitsch vorherrschende Thema des Nebeneinanders von Leben und Tod, Gebären und Sterben, die Möglichkeit, Tiere und Pflanzen sowohl als lebende Organismen wie als Nahrungsmittel zu sehen und diesen Kreislauf der Natur zu bejahen, werden in Cibulkas „Bildgedichten“ immer wieder an neuen Beispielen aufgegriffen und auf vielfältige Weise aus der Wirklichkeit belegt.
Seine ganz persönliche Vorgangsweise und die Spannweite seiner künstlerischen Arbeit haben Heinz Cibulka weit über den engen Kreis Fotointeressierter hinaus bekannt gemacht. Er ist einer jener wenigen österreichischen Fotografen, deren konsequentes Werk bereits internationale Anerkennung gewonnen hat. Darüber hinaus lässt sich aber die wachsende Bedeutung Heinz Cibulkas auch daran ablesen, dass nun, nach 15 Jahren seiner Tätigkeit, seine Arbeits- und Denkweise bereits in einer nächsten Generation junger Fotografen diskutiert wird und ihren Niederschlag findet.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1984