Heinz Cibulka

Medienkunst
Künstlerische Fotografie

Heinz Cibulka – Der Photograph

Georg Trakl-der geniale, tragische Lyriker, schreibt in seinem Kaspar-Hauser-Lied: „Stille fand sein Schritt die Stadt am Abend/Die dunkle Klage seines Munds:/Ich will ein Reiter werden.//Ihm aber folgte Busch und Tier,/ Haus und Dämmergarten weißer Menschen/Und sein Mörder sucht nach ihm.“ Kaspar Hauser, das rätselhafte Findelkind, ist das Synonym für einen Menschen, dem die Welt noch nicht zur Gewohnheit geworden ist.
Es geht darum, als Philosoph, als Dichter, als Künstler die Lebenswelt nicht für selbstverständlich zu halten. Heinz Cibulka hat die Fähigkeit zu Staunen, eine Neugierde dem Leben gegenüber, eine hochsensibilisierte, permanente Aufnahmebereitschaft, also das Wichtigste, was man braucht, um ein gereifter Mensch und ein guter Künstler zu sein.
Bei religiösen und mythischen Erfahrungenen ebenso wie in neueren Forschungsergebnissen, okkult oderwissenschaftlich empirisch, treffen wir auf den Glauben, dass der Mensch im Augenblick des Todes sich seiner Vergangenheit bis in kleinste Einzelheiten erinnert und daß er nicht in die dunkle Dimension übertreten kann, ohne die Geschichte seines Daseins wiedergefunden, durchlebt und auf seine innere Bildfläche projiziert zu haben. Für Cibulka ist diese Genauigkeit, sind diese exakten Kenntnisnahmen, ständige Gegenwart. Er nimmt „seismographische“ Schwingungen aus seinem Umfeld auf und „saugt“ sie mit seiner Camera ein. Heinz Cibulka ist ein Künstler, der meist sein Photocamera -Objektiv zwischen sich und die sogenannte Realität setzt um seinen Blick, sein Sehen noch weiter zum Essentiellen hin zu steigern. Sein Interesse gilt aber nur am Rande der Technik.
Heinz Cibulka kommt aus dem engsten Kreis des Wiener Aktionismus. Von dessen philosophischen und künstlerischen Vorstellungen angezogen, bestand seit 1965 ein, wie Cibulka selbst sagt, Schüler/Lehrer-Verhältnis zu Hermann Nitsch. Er nahm an zahlreichen Aktionen von Nitsch und Schwarzkogler teil, vorerst als Akteur in relativ passiver Position, sein aktiver Einfluss wurde später zusehends intensiver, als er selbst hinter die Camera trat. Nitsch wurde für ihn ein begeisterndes Vorbild künstlerischer Existenzbewältigung. Dieser zielte mit seiner Interpretation der damaligen Geschichte-Gegenwart-Kunst Konstellation auf eine radikale Erfassung sinnlicher Qualitäten und entwickelte eine Einbeziehung religiöser Gedanken- und Verhaltensformen in den expressiven Aussagemodus. Cibulkas Materialbilder oder Bildgedichte haben auch nach einem langen, höchst individuellen Entwicklungsprozess noch verwandte Züge mit dem Vokabular des Wiener Aktionismus.
Seine ersten „Bildgedichte“, später meist vierteilige Photozyklen stammen aus dem Jahre 1972. Vorerst war es eine fast dokumetarische Schwarz-Weiß Arbeit: „Stammersdorf“, doch bereits 1974 hatte er mit dem Zyklus ,,Weinviertel“ zu jener für ihn charakteristischen Formensprache gefunden, die ihn bis heute beschäftigt. Die in waagrecht/ rechteckiger Form angelegte Vierergruppe von Farbphotos, welche er aus einem großen Fundus auswählt und einfach im kommerziellen Photolabor entwickeln lässt und dann zusammenmontiert. In letzter Zeit (seit 1992) benutzt er ebenso selbstverständlich die zur Verfügung stehenden Computerprogramme um in neue kompositorische und inhaltliche Ebenen vorzudringen. Cibulkas eigenständige Arbeit war bereits voll ausgeprägt, als er sich 1980 der Dokumentation des Orgien-Mysterien Theaters von Hermann Nitsch zuwendet und mit seiner ,,eingeweihten“ Perspektive entscheidend zur Vermittlung des Gesamtkunstwerkes Nitschs beiträgt.
Wichtig für die gesamte Entwicklung der österreichischen Kunst der letzten Jahrzehnte sind aber vor allem die Photozyklen von Heinz Cibulka. Hauptwerke sind dabei: Weinviertel (1975), Lied für einen Hund (1976), Hochzeit (1980), Most-fühlt (1981), Gemischter Satz I, II (1982-87), projekt o.m. theater I, II, III (1980 83), Hochgebirgsquartette 1, II (1984-86), Wien I, II (1984- 86), Berlin (1985), Rom (1986), Im Pechwald (1986), Donauraum (1988), Antwerpen (1991- 92). Cibulka, der seit 1972 eine große Zahl Ausstellungen in vielen wichtigen Galerien in In- und Ausland hervortrat, erhielt 1981 den österreichischen Staatspreis für Photographie. Von großem Einfluss ist auch seine Tätigkeit als Vermittler und Organisator für die künstlerische Photographie in Österreich, nicht zuletzt auch durch die von ihm mitgegründete Foto-initiative „Fluss“.
Als Künstler ist sein Schaffen aber äußerst konzentriert und vielschichtig. Trotz seiner Auseinandersetzung mit dem „Bauch der Städte“ ist seine Bilderwelt meist ländlich geprägt, auch wenn er durch die Stadt geht. Es sind die einfachen Dinge, die kleinen Dramen, die einfachen Genüsse, das Schmecken, das Riechen, das Spüren, das unvoreingenommene Schauen.
Er zeigt bei dieser „zufälligen“ Auswahl jedoch auch klare Abgrenzungen. Niemals zeigt sein Blick in die heimatliche Umgebung auch nur Ansätze jener abstoßenden Verkitschung, die selbst den eingefleischtesten Freund des Landlebens zu verkraulen geeignet ist, noch kryptonationalistische Heimattümelei, sein Zugriffaufdie Realität läßt große Hoffnung auf ein positives Leben „in Fülle“.
Heinz Cibulka fand zu einer tief empfundenen Bildsprache – seiner Form der Welt ihre Geheimnisse zu entwinden, ohne diese durch Preisgabe zu zerstören. Er selbst spricht von einer poetischen Philosophie mit photographischen Mitteln. In gewissem Maße hat er die künstlerische Photographie revolutioniert durch seine bewusste Distanzlosigkeit zur einfachen Anwendung der technischen Medien, sozusagen, weil sie einfach da sind. Seine Bildkombinationen sind dynamische Kraftfelder einer individuellen Kosmologie. Das Ergebnis seiner Arbeit sind hochsensible bildsprachliche Bezugssysteme. In asketischer Verknappung wird ein analytisch zerlegtes Weltbild in ein neues Ganzes gefügt. Diese Zurückhaltung erzeugt eine geradezu greifbare Intensität seiner Bildgedichte. Cibulka, der große Lyriker der Bilder, verweigert sich dem Monumentalen er wird zum Meister der kleinen Form.
Er entwickelte seine spezielle Form der assoziativen Bildkombination sinnlicher Obsessionen, die eine österreichische Tradition, die Wirklichkeit, das Religiöse, das Leben künstlerisch zu durchleuchten, mit neuen Mitteln fortsetzen. Heinz Cibulkas Werk beeinflusste das Denken und Sehen vieler junger Photokünstler, was ihm internationale Aufmerksamkeit einbrachte und einen Platz in der neueren Kunstgeschichte sichert.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1994