Nach drei Jahren »uralt«
Sie erklärt uns Bräuche. Geduldig und immer mit Enthusiasmus, Jahr für Jahr vom Fasslrutschen bis zum Osterhasen, vom Peitschenknallen über Halloween bis zum Mittelalterrevival.
Schon der Großvater war Sammler und Mundartdichter, der Vater, Druckereibesitzer, war 33 Jahre Leiter des Bezirksmuseums Alsergrund. »Das Interesse für die Volkskultur habe ich schon mit der ›Vatermilch‹ mitbekommen«, sagt Wolf, eine zarte Dame, die in ihrem Salon sitzt, wo die Bücher bis zum Plafond der Wohnung eines Wiener Jugendstilhauses reichen.
Ihr Studium am damaligen Institut für Volkskunde (heute: Europäische Ethnologie) absolvierte sie unter Prof. Helmut Fielhauer, der mit modernen Ansätzen frischen Wind und radikalen Aufbruch in die vom Nationalsozialismus kontaminierte Wissenschaft brachte. Das war die Zeit, in der »oral history« aufkam, die Geschichte von unten. Parallel zum Studium arbeitete sie in der väterlichen Druckerei. Und von dort war der Schritt zum Journalismus nicht weit. Helga Maria Wolf schrieb für »Die Presse« und wechselte danach in die ORF-Landesstudios Wien und Niederösterreich. »So bin ich eine berufliche Zweitwohnsitzerin in Niederösterreich geworden.«
Die Volkskunde und der Journalismus haben einen ähnlichen Zugang, räsoniert Wolf, in beidem muss man auf Menschen zugehen und neugierig sein. Sie hat für den ORF jahrelang die Sendung »Ins Land einischaun« gemacht. Wichtig dabei ist ihr, bei Bräuchen und Festen mit Vorurteilen à la uralt, mythisch, keltisch und germanisch aufzuräumen. »Das lässt sich kaum ausrotten. Gerade heute erlebt das wieder Hochkonjunktur.« Warum?
»Einerseits können sich durch das Internet falsche Vorstellungen explosionsartig verbreiten. In der öffentlichen Meinung gilt ›uralt‹ als Qualitätsmerkmal. Manche meinen, nach zwei Jahren ist etwas ein Brauch, nach drei Jahren ein uralter. Dabei hat schon Professor Károly Gaál uns Studierenden eingeschärft: ›Uralt ist ein Weinbrand.‹«
Andererseits beobachtet sie, dass Perchtenläufe sich dort etablieren, wo vorher keine waren, der Hype um Halloween wiederum in Deutschland bereits rückläufig ist.
Frau Wolf, ist das nun ein Brauch oder ein Event? »Die Grenzen sind fließend. Neben der herkömmlichen Fest- und Brauchkultur hat sich eine neue Festkultur mit Eventcharakter entwickelt. In der Erlebnisgesellschaft spielt auch der Spaßfaktor eine wesentliche Rolle.«
Für Helga Maria Wolf gilt der Grundsatz, dass Volkskunde zu sehen hat, was ist, und nicht zu bewerten. So hält sie es als freischaffende Autorin bis heute: einerseits für das österreichische Wissensnetz im Internet, dem »Austria Forum« (www.austria-forum.org), oder im «Schaufenster Kultur.Region«.
Jahr um Jahr wird bei ihr angefragt, warum es Osterhasen gibt. Da füllt sie eine Lücke. Denn das Institut für Europäische Ethnologie (ehemals Volkskunde) geht in eine andere Richtung. »Da will sich niemand mit dem Osterhasen beschäftigen. Also mache ich es.«
So entstanden ihre zahlreichen Bücher wie »Das neue BrauchBuch« (Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, 2000) oder »Österreichische Feste & Bräuche« (NP Verlag, 2003). Im kommenden Jahr erscheint ihr Buch über Wiener Bräuche.
Ein kleiner Stachel bleibt, sagt Helga Maria Wolf. »Was wäre gewesen, wenn ich in der Wissenschaft geblieben wäre?« Wir können das beantworten, geschätzte Frau Wolf: Wer würde uns dann Fasslrutschen, Peitschenknallen und Halloween erklären?