Herbert J. Wimmer

Literatur
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Versuchsanordnungen

Herbert J. Wimmer, Jahrgang 1951, hat neben Arbeiten für den Rundfunk und literatur- und filmkritischen Schriften vor allem «roman artigkeiten» verfasst. Zuletzt erschienen: «Das offene Schloß» (1998), «Autostop» (1999) und «Der Zeitpfeil» (2003).
Neben einer «integrativ konstruktivistischen sichtweise» bleibt über die Grenzen der Bücher hinweg ein Gespräch der Figuren bzw. Textfiguren aufrecht. Ebenso findet man überall Passagen, die das Erzählen selbst thematisieren, damit Brüche erzeugen, Kontext-Erwartungen in Frage stellen. Körper erscheinen als hypersensible Registrierungsorgane, als zur ständigen Selbstreferenz bereite Bewusstseinsträger. Die Grenzen zwischen den einzelnen «figur-artigkeiten» verwischen sich oft. Vieles läuft auf Intersubjektivität hinaus, auf das Rahmen-, Ausschnitt- und damit Schnitt-Problem: Wer oder was ist wessen Rahmen bzw. Ausschnitt?
Wimmer begreift sich als «finder und erfinder». Demgemäß sind seine Texte scharf-sinnige «versuchsanordnungen», in denen sich seine Oszillationen und Mischverhältnisse niederschlagen; ebenso seine Schreib-, Beziehungs-, Wahrnehmungs- und Gedächtniskrisen. Eine Triebfeder ist auch die Lust am Spiel mit der Sprache, im Ergebnis oft Joycesche Assoziationsfolgen voller Mehrdeutigkeit und Witz oder im Kalauer endende Wortmutationen.
In Wimmers Roman «Der Zeitpfeil» ist die Zeit der Handlung immer ein sechster November. Alle 39 «Cuts» ereignen sich in einer «kontinuität des einmaligen» und berufen sich auf eine Nachricht des CERN vom 6. November 1998, die «asymmetrie und nichtvertauschbarkeit von vergangenheit und zukunft» sei experimentell nachgewiesen worden. Die Figuren – in ihren «neuronalen verschaltungen … in pausenlosen feuerzuständen» – sind darin gefangen.
Wimmers Text besticht durch eine reiche Polyphonie der Stimmen bzw. Stimmlagen, virtuose bissig-lyrische Passagen, abwechslungsreiche Montagen und Diskurse, filmhaftes Zoomen und ausgefuchste Schnitt-Effekte, durch immer wieder aufgenommene innere Monologe und insistente (Selbst-)Beobachtungsberichte. Er rechnet mit einem erkenntnisfreudig mitpuzzelnden Leser.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2004