Hermann Czechs Arbeiten sind anders
Wie aus einem Krieg heimgekehrt wirken Hermann Czechs Arbeiten, die von anderen dagegen erscheinen oft wie Proszenien eines Abenteuerurlaubs. Dieser martialische Vergleich zeigt jene Facette in Czechs Arbeiten, die mit seinem authentischen Er- und existentiellen überleben zu tun hat und wesentliche Teile seiner Entwicklung sind. Mag er in bestimmten Phasen dieses Prozesses noch so sehr still beobachtend oder am zeitgeistigen Geschehen unbeteiligt scheinen, sein konzeptuelles „Langzeitgedächtnis“ registriert immer und verarbeitet im Zweifelsfall. Es geht nicht darum, die jeweilige Auffassung von Architektur anderen gegenüberzustellen, auf, dass eine etwaige Differenz genügend diskursive Trennschärfe ergibt, vielmehr sind die Rezeptionsmuster derartig angelegt, dass sie bei aller scheinbaren Zufälligkeit letztlich Kommentare sind zu allem, was sonst bekannt, relevant ist; sie werden damit seismografisch bewegliche Teilchen eines kulturellen Wertegefüges. Gerade seine Bauten, Räume, Möbel sind „zeithältig“ wie auch „hinterhältig“ angelegt, als sie Zeit wie eine konzeptuelle zu gebrauchende Komponente begreifen, die je nach Bedarf direkt oder eben mit Verzögerung arbeitet. Gerade dieser komplexe Einsatz der Mittel erfordert einen entsprechenden Fond an geschichtlichem und architekturtheoretischem Rüstzeug und dessen gelenkigen Gebrauch. Man kann nicht einmal sagen, dass die üblichen Kriterien, die vorwiegend im Kunst- und Architekturdiskurs verwendet werden, wie Konsequenz, Reduktion, Klarheit, Kraft, Komplexität, Spannung etc., Czechs Arbeiten qualifizieren könnten, denn sie wirken, gemessen am vorangängigen Vokabular, oft überbestimmt und heterogen. Die eigentliche Stärke der Arbeiten sind ihre androgyn ausbalancierten Eigenschaften, die über das scheinbar Eindeutige weit hinausgehen, ohne eben nur zweideutig zu sein. Das Zu lässige wird überschritten durch das Mögliche. Das Mögliche wird überschritten durch das Gelassene. Das Gelassene wird bis an die Unschuldsgrenze vorangetrieben.
Seine Arbeiten sind logisch im Sinn von anthropologisch, sie sind eng mit seiner Person verbunden und nehmen deren Eigenschaften an. Die größte Stärke und auch Endlichkeit dieser Arbeiten ist, dass sie nicht ablösbar sind von seiner Person. Sie stehen für sich in einer an sich entpersönlichten Welt und entwickeln damit Charakter. Dieser kommt aus den Tiefenschichten des Wiener Schaffensurgrundes, all seiner vielfältigen Verformungen und Verwerfungen, aber auch der stillen Sehnsucht nach übergreifender Ordnung.
Alles, was rein, klar, apodiktisch daherkommt, weckt sein Misstrauen ebenso wie der geschönte Zufall. Gerade diese Widersprüchlichkeiten und Unregelmäßigkeiten finden Czechs Interesse.
Unregelmäßigkeit ist hier gemeint als federnde Regelmäßigkeit mit Grundwelle. Diese Grundwelle, gespeist aus widerstrebenden dynamischen Momenten der Tiefe, die sich oft an der Oberfläche zerstreuen und diese nur leicht bewegen, bricht jedoch manchmal unverwandt hervor, verkehrt das Unterste nach oben.
Die radikale bis penetrante Indienststellung von eigenartig stilistisch gebrochenen historischen Vorformen von Gebäuden, Bauteilen und Möbeln im Zuge des selbstquälerischen Entwurfsprozesses führt zu einem Einfall, der auch die Möglichkeit des Unfalls in sich trägt.
Arbeiten mit dieser existentiellen Spannung beanspruchen eine breite Basis eines traditionellen Fonds, der als evaluierte Nullebene zu einer neuen architektursprachlichen Übereinkunft genutzt wird. Dieser Hintergrund wird wechselweise aus den „diskreten“ Ergebnissen seiner historischen Forschung gebildet, den architekturtheoretischen (Fest)Set-Zungen und einer geläuterten bis zur- von konzeptuellen Spitzfindigkeiten durchwachsenen- Baupraxis.
Die Durchwirkung dieser drei Bereiche – vermeintlich waren es immer unvereinbare Tätigkeiten, weil sie kaum jemals so synchron beherrscht wurden – ergibt schließlich Werke in dieser verknüpften Kompaktheit. Die Radikalität dieser Arbeiten liegt in der feinstofflichen Verdichtung traditioneller Muster zu neuen Wirkungsgebinden.
Hermann Czechs Arbeit fordert Aufmerksamkeit ein, mehr im Sinn des englischen awareness als des vordergründigen attention. Ich meine, einen ständig vorhandenen dynamischen Prozess wahrzunehmen, der ein komplexes, sich ständig veränderndes Feld zwischen Erinnerung und Antizipation erzeugt. Ein Prozess, in dem sowohl ständige Selbstvergewisserung als auch Grenzüberschreitung zu einem zeithältigen Muster geflochten wird. Für mich ist Hermann Czech als Architekt eine der wenigen wichtigen Herausforderungen unserer Zeit.