Was da entstehen kann aus nichts
Es gibt ja keine Berufungen, man wird zufällig Glaser, Tischler oder was weiß ich. Bei mir war von klein an diese Leidenschaft für Bücher, deshalb wurde ich Schriftsetzer. Schon am Morgen, wenn ich in die Druckerei gekommen bin, der Geruch der Druckfarbe, das war ein Gefühl, wie wenn ein Hungriger bei einer Bäckerei vorbeigeht. Dann ein weißes Blatt, auf einmal ist was oben, da war ich glücklich.“ (Hermann Gail) Hermann Gail schreibt, um dem episodisch Zufälligen des Daseins mit dem Zusammenhang seines Werkes zu begegnen. Die thematischen Konstanten seiner Literatur sind das Ausgesetztsein und der Tod, spürbar wird eine Einsamkeit, in deren Weite Menschen keinen Platz zu haben scheinen. In einem Werk gibt es keine Zeit, die als wie auch immer geordnetes Erzählkontinuum dargestellt ist, es geht um das Jetzt: Gails Leben ist präsent als Erlebtes, das in literarische Form gebracht worden ist, wie um durch das Abbilden und Benennen dem Dämonischen die Macht zu nehmen. Dabei entsteht eine Bilderwelt, die sich den Methoden der germanistischen Analyse entzieht. Unter der Haut trägst du einen Mantel aus Purpur. ( aus ,,Balanceakte – Die Beschreibung von Wahnvorstellungen im Zustand der Ungnade“) In seinem Schreiben ist kein Raum für die Erfindung literarischer Geschichten, es gibt nichts Leichtes und nichts ,,zwischen“ den Büchern und dem Leben Gails, so wie er lebt, schreibt er: Schwer kategorisierbare Lyrik an der Grenze zur Prosa, mitunterballadesk, prosaische Szenen aus der Vorstadt. Die Schauplätze liegen in Wien, im Prater, in den Beiseln, es geht immer um Außenseiter, Sandler, Nutten, Ganoven. Diese Literatur ist fragmentarisch, sie besteht aus zahllosen Ich-Perspektiven, die das Betroffensein des Autors im Innersten zusammenhält. Auch die Rattenhaben Gesichter. Auch die Ratten haben menschliche Gesichter. Ich sehe sehr genau in die Rattengesichter, ich habe immer ein starkes Bedürfnis gehabt, in ein Gesicht, in irgendein Gesicht zu sehen. Ich habe immer Menschen auffällig angestarrt, und ich habe mir dabei gedacht, sie werden mir eine Frage stellen. Aber sie haben mir keine Frage gestellt. Es war dann immer eine Leere da, eine unbeschreibliche öde Leere. (aus ,,Vorbereitungen zum Selbstmord“) Seine Texte sind Sprachbilder aus elementaren Sätzen, die Person Gails gibt den Szenen einen Zusammenhang, der durch den Versuch entsteht, der Angst vor dem Nichts hinter der Alltäglichkeit Herr zu werden. Dieser Literatur eignet kein ideologisch philosophisch motivierter Verweischarakter auf etwas außerhalb der Literatur, die Schlagwörter von der ,,Krise des Erzählens“ in einer nicht mehr ,,erzählbaren Welt“ treffen auf sie in hohem Grad zu. Gail hat nie nach ,,epischer Totalität“ gestrebt, die zerfallende Welt zu beschreiben, um die Einheit zwischen ethischen Werten und der alltäglichen Lebenspraxis wiederherzustellen, ist nie sein Ziel gewesen: ,,Man kann nicht mehr Weltengebäude durch Fabulierkunst errichten, so ein riesiges Gesellschaftspanorama nimmt einem heute ja keiner mehr ab. Mich mit einem Obdachlosen zu unterhalten, ist mir lieber als derganze ästhetische Unsinn. Mirgeht’s um unbedingte Aufrichtigkeit, alle Eitelkeit ablegen. In Wirklichkeit ist das, wenn jemand schreibt, sich vor das leere Blatt setzt, wie wenn dieser Mensch sich einer Folterbank aussetzt. Man schreibt einen Satz hin und könnte ihn gleich wieder durchstreichen. Für mich ist das ein ständiges Gerichtstaghalten. Wer Dichtung sagt meint Leid.“ In seinemWerkwird eineAusweglosigkeit spürbar, der nur mehr die Literatur als Hoffnung bleibt. Poesie entsteht in den Leerstellen, im Abseits, in der Stille, im Verborgenen, dort wo keiner hinkommt: Der Greis ist eingeschlafen. Aufdem Tisch ein unberührter Laib Brot noch warm Der Tod spreizt seine schwarzen Finger aus (aus ,,Waldviertel“) Hermann Gail wird am 8. September 1939 in Pöggstall/NÖ geboren, nach dem Besuch der Volksund Hauptschule seines ländlichen Geburtsortes wechselt Gail für zwei Jahre in ein Gymnasium in St. Pölten, wo er als 16jähriger mit einer Schriftsetzerlehre beginnt. Nach zahlreichen Veröffentlichungen (Romane, Lyrik, Hörspiele) gründet er 1975 die David-Presse, einen Wiener Kleinverlag. Er besorgt Graphik, Satz, Druck und oft auch den Vertrieb der bibliophilen Gesamtkunstwerke, für die er mit zahlreichen Buchpreisen ausgezeichnet worden ist. In kleinen Auflagen sind Handke, Jelinek, Henisch, Turrini, Okopenko u. v. a., erschienen, sowie bisher auch sechs Lyrikbände von Hermann Gail. Die Titel sind längst vergriffen, unter Buchliebhabern werden hohe Preise für sie bezahlt, aber Gail denkt nicht daran, besonders gefragte Bücher noch einmal aufzulegen. In ,,Vorbereitungen zum Selbstmord“ schreibt er: Ich denke, dieser Traum, von dem ich spreche, ist keine unbeständige Blüte der Jugend, keine kurz aufflammende Erwartung etwas Wunderbaren, das nur Rausch ist, nur Sturmgeklingel momentaner Erregung. Ich müsste jetzt eigentlich weit zurückgreifen und eine lange Geschichte erzählen, verwehte Spuren aufnehmen. Aber für wen? Albert Camus hat auf diese Frage in ,,Der Mythos von Sisyphos“ eine Antwort gegeben: ,,Für nichts arbeiten und schaffen, in Stein meißeln, dem Leeren seine Farben geben.“ Hermann Gail lebt alleine hinter Büchermauern. Er sitzt im Licht einer Lampe und schreibt, inmitten tausender Bücherals wäre er dort angekommen, wo er immer sein wollte: ,,Ich hab mir als Kind gedacht, schau, wenn ich in einer Druckerei bin, wo Bücher hergestellt werden, könnt ich eigentlich selber Bücher machen. Das war für mich das Wesentliche, dass ich nicht nur Bücher besitze, sondern auch mache. Dazu lern ich das Handwerk, und damit wird sich für mich eine ganze Welt auftun. . .. Die Faszination ist eigentlich, dass man sagt, schau, es ist vorher überhaupt nichts da, ich greif rein, ich hab 26 Buchstaben zur Verfügung, und aus diesen 26 Buchstaben form ich jetzt ein paar Wörter, die setz ich zusammen, aus diesen Wörtern wird ein Satz, wird eine Seite, und plötzlich ist da eine ganze Welt aus diesen paar Buchstaben, ja, also das ist etwas Unbeschreibliches, muss man sagen, was da entstehen kann aus Nichts.“