Existenzsakrale Malerei, exzessive Aktion und Lebensliturgie
Zwanzig Jahre nach der Nominierung Hermann Nitschs für den Würdigungspreis des Lands Niederösterreich fällt einer zweiten Jury nun die Entscheidung zu mit den Kulturverantwortlichen das nachzuholen, was damals versäumt wurde. Die einstimmige Entscheidung 1984 hatte nicht nur zur Ablehnung eines bereits zweifachen Documenta-Beiträgers (1972 und 1982) geführt – der damals leitende Kulturbeamte sah sich danach veranlasst, unter erheblichen menschlichen wie materiellen Verlusten, in die Kulturabteilung der Stadt Wien zu wechseln. Sicher kommt diese Würdigung von 2004 um Jahrzehnte zu spät, doch das Werk des 1938 in Wien geborenen Künstlers polarisiert nach wie vor, da Vorurteile und Nichtwissen auf beiden Seiten ein schwarz-weiß Denken erzeugten.
Anhaltende unberechtigte Vorwürfe aus Politik, Kirche und von Tierschutzverbänden, Nitsch sei ein Pornograf, Gotteslästerer und Tierquäler, werden mit großer Verehrung und Jüngerschaft nach Vorbild Stefan Georges auf der Seite eines leidenden Künstlergenius beantwortet. Ein solches Pro und Contra ist abzulehnen, um die wissenschaftliche Einordnung des verdienstvollen Lebenswerks im Rahmen einer internationalen aktionistischen Bewegung der 60er bis 80er-Jahre Berufeneren zu überlassen als den Skandal witternden Zeitungen und ihren Lesern und Leserinnen.
Wer zu Nitschs Schüttbildern und seiner seit 1957 in zahlreichen tagelangen Aktionen seines Orgien Mysterien Theaters (OMT) erarbeiteten Gesamtkunstwerkidee wirklich mehr wissen will, sollte die zahlreichen Dissertationen, Katalogtexte, auch die 1987 von Werner Hofmann im Kunstforum international verfasste Kritik lesen und auch die über tausend Seiten füllenden Kommentare des Künstlers selbst zu seiner Erweiterung von Kunst (Theater, Musik und bildende Kunst synästhetisch zusammengefasst in einem Gesamtkunstwerk nach Richard Wagner). Es ist auch nicht der richtige Weg, Hermann Nitsch heute, ohne Entfachung neuerlicher Skandale anlässlich seiner Parzifal-Zueignung des 2-Tage-Spiels 2004 vorzuwerfen, er sei «amtsmüde».
Der emeritierte Professor für interdisziplinäre Kunst an der Städelschule in Frankfurt würde bei nötiger Unterstützung sicher in und um sein Schloss in Prinzendorf, das seine zweite Frau, Beate Nitsch, noch in Zeiten seines deutschen Exils 1971 erworben hatte, längere und spektakulärere Aufführungen anbieten, sowie weitere «Herodiade»-Opern mit Erfolg inszenieren.
Allerdings ist der Wandel des Kunstwerks in eine religiöse Feier, die gleichzeitig kathartische Wirkung für Besucher und Besucherinnen vermitteln soll, nur durch die Gestalt eines priesterlich agierenden Protagonisten möglich. Nitschs sehr persönlich interpretiertes Antikenbild (Mysterienkulte, vor allem Dionysos), seine starke Orientierung an der gnostischen Lebensliturgie des Georgekreises und an Ansätzen anderer reaktionärer Revolutionäre zwischen 1910 und 1930 (der Ordo Novi Templi eines Lanz von Liebenfels oder die «Blutleuchte» Schulers sowie die para-religiösen Erkenntnisse von J. G. Frazer und C. G. Jung) werden jedoch noch weitere fundierte Kritik hervorrufen, die sich nun für den viel Geehrten allerdings nur positiv auswirken kann. Die Einreihung in eine gedankliche Verwandtschaft von Klimts «Beethovenfries» (im Sinne von Wagners Gesamtkunstwerk) über die Futuristen, Expressionisten und Ideen von Einzelgängern wie Artaud bis zu Action painting und zur Dekonstruktionskunst der 60er-Jahre, samt Gurukollegen wie Beuys, kann sein Schaden nicht sein.